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Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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blasenbedeckten Hände gekühlt hatte, kletterte er wieder ins Boot und ließ sich von der Sonne trocknen, während das Boot weiter flussabwärts trieb. Allmählich wurde der Fluss immer breiter und Sergej sah die verschiedensten Landschaften vorüberziehen.
    Als die Tage länger wurden, hatten seine Schultern die Farbe reifen Kupfers angenommen. An manchen Tagen hatte er gar nichts zu essen, an anderen schlug er sich den Bauch nach Herzenslust voll. Aus dem Bambus, der entlang der Wolga wuchs, fertigte er sich einen primitiven Speer, dann schnitzte er sich einen Bogen aus biegsamem Eibenholz. Die Pfeile stellte er aus starkem Schilfrohr her, an denen er Wachtelfedern befestigte. An den Spitzen brachte er scharfe Steine an, die spitz genug waren, um auch das dickste Fell zu durchbohren. Mit seinem neuen Bogen erlegte er Hasen und Vögel, die außerhalb der Reichweite seines Speeres lagen.
    Auf diese Weise gelang es Sergej, im Sommer und Frühherbst die tausend Kilometer bis zum Kaspischen Meer zurückzulegen, wo er - immer in Ufernähe bleibend - weiter nach Süden in Richtung des blühenden Hafens Baku ruderte. Aber lange bevor er Baku erreichte, ließ er sein Boot in der Nähe von Machatschkala zurück und machte sich zu Fuß nach Südwesten in das Kaukasusgebirge auf.
    Während er auf den Kaukasus zuwanderte, kam er gelegentlich an einer Stanitsa vorbei, einer Siedlung der Kosaken. Er glaubte nicht, dass die Nachricht von Sakoljews Ermordung sich bis hierher verbreitet hatte, aber er konnte nicht darüber hinwegsehen, dass er ein Deserteur war, der jeden Kontakt mit dem Militär tunlichst vermeiden sollte. Er würde sich ein ganzes Jahr lang im Hochland verstecken - vielleicht sogar länger - und dann nach Sankt Petersburg zurückkehren, den Schatz seines Großvaters finden und anschließend über das Meer nach Amerika segeln.
    Sergej wurde seinem Vorsatz nur ein einziges Mal untreu. An einem der kälter werdenden Herbsttage näherte er sich aus reiner Neugierde und einem Anflug von Heimweh einer Siedlung freier Kosaken. Sehnsüchtig sah er dem Rauch nach, der - Wärme verheißend - aus den Schornsteinen aufstieg, dann fiel sein Blick auf eine junge Frau, die zu einer Hütte ging. Als sie zu ihm hinübersah, ihm zunickte und dabei lächelte, erwachte in ihm ein Verlangen nach Heimat, nach Familie. Er war nie mit einer Frau zusammengewesen und die Sehnsucht erfüllte ihn mit einem dumpfen Schmerz. Er fragte sich - wie schon so oft -, ob er wohl jemals eine Familie haben würde.
    Sergejs Aufstieg in die Berge dauerte mehrere Wochen, in denen er nach einem Lagerplatz suchte, der ihn besser vor den Elementen und dem hereinbrechenden Winter schützen würde. Der Winter im Hochland würde kalt werden, aber hier in der Einsamkeit der Berge würde er sicher sein. Im Spätherbst entdeckte er eine Höhle in der Nähe eines Wasserfalles, der in ein Becken fiel, in dem es Lachse und Forellen gab. In der Nähe hatte ein Biber einen Damm gebaut. Sergej errichtete einen stabilen Unterstand aus Zweigen mit einer Öffnung, durch die der Rauch abziehen konnte, er verputzte diesen mit Lehm, der trocknen und gefrieren und so den kommenden Schnee und den Wind abhalten würde. Und bevor die Bäche zufroren und das Wild knapp werden würde, jagte er und trocknete so viel Fleisch wie möglich. Mit diesen Vorräten, die durch gelegentliches Eisangeln ergänzt werden würden, konnte er bis zum Frühjahr überleben.
    An kalten klaren Wintertagen erkundete er die Umgebung, ging auf die Jagd oder stellte Fallen, aber die meiste Zeit hielt er Winterschlaf wie ein Bär. Er schlief und er träumte. Wenn er wach war und sich tiefer in seine Höhle kuschelte, während draußen der Wind heulte, nähte er sich einen Pelzmantel, eine Pelzmütze und Pelzhandschuhe. Auch seine Stiefel legte er mit Fell aus.
    An so manchem Morgen ging er nackt hinaus, rieb seinen ganzen Körper kräftig mit Schnee ab und hüpfte auf und ab, um bei Kräften zu bleiben, bevor er wieder in seine Pelze schlüpfte und sich in der Höhle verkroch. Es war ein langer, einsamer Winter.
    Im Frühjahr 1889 sah er auf einer Wiese im Tal eine Bärin mit ihren Jungen und später in der Dämmerung auf einem schneebedeckten Bergkamm einen Leoparden vorbeiziehen. Er fühlte sich nun als permanenter Teil der natürlichen Welt und nicht mehr als Eindringling. Selten sprach er ein Wort und wenn, dann nur, um sich davon zu überzeugen, dass er es noch konnte. Aber manchmal ahmte er den

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