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Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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Gesang der Vögel nach oder heulte nachts mit den Wölfen.
    Und so verbrachte er ein weiteres Jahr in der Abgeschiedenheit der Berge. Eines Morgens wurde Sergej bewusst, dass sich alles verändert hatte. Er gehörte keiner Familie, keiner Gesellschaft, keiner Religion und keiner Gruppe mehr an - ja nicht einmal mehr einer bestimmten Kultur. Er war ein Wolf und ein Waldläufer geworden. Als er sich einmal niederkniete, um aus einem kleinen Bergsee zu trinken, erblickte er ein bärtiges, sonnenverbranntes Gesicht, das er nicht als das seine erkannte. Selbst seine Augen hatten sich verändert, sie lagen nun viel tiefer in den Höhlen. Er war erst achtzehn Jahre alt, aber das Gesicht, das er erblickte, war das eines reifen Mannes, eines Waldläufers. War er früher nur ein gelegentlicher Besucher in der Wildnis gewesen, so war er nun ein Teil von ihr geworden.
     
    Im Frühling des Jahres 1891 - drei Jahre nach seiner Flucht - wanderte Sergej durch eine enge Schlucht, deren steil aufragende Wände nur etwa vier Meter voneinander entfernt waren. Obwohl er seine Schritte mit Bedacht setzte, um nicht auf loses Geröll zu treten, und obwohl seine Sinne geschärft waren wie noch nie, marschierte er doch geradewegs auf sein Verhängnis zu. Als er um einen großen Felsen bog, der mitten im Weg lag, sah er sich plötzlich dem größten Bären gegenüber, den er je gesehen hatte. Der Bär hatte ihm zwar den Rücken zugewandt, aber schon drehte er sich um. Sergej ging so schnell wie möglich rückwärts, während das gewaltige Tier seinen Geruch aufnahm, um zu entscheiden, was er mit dem Eindringling machen wollte. Der Bär war gerade aus dem Winterschlaf erwacht, er war zwar noch träge, aber in seinen Eingeweiden tobte ein fürchterlicher Hunger. Es war offensichtlich, dass dem Bär die Begegnung gelegener kam als Sergej. Der Bär sah in ihm keinen Menschen, sondern lediglich eine Mahlzeit.
    Sergej hatte keine Ahnung, ob er einem Bären oder einer Bärin gegenüberstand. Er dachte auch nicht weiter darüber nach, denn es machte keinen Unterschied, wer ihn fressen würde. Der Bär erhob sich auf die Hinterbeine und baute sich drohend vor Sergej auf. Dann reagierten beide Wesen instinktiv und mehrere Dinge passierten gleichzeitig: Der Bär ließ sich auf alle viere fallen und stürmte auf Sergej zu, während dieser seinen Rucksack abnahm, ihn in Richtung des Bären schleuderte und wie eine wild gewordene Spinne die Felswand zu erklimmen versuchte. Er hatte nicht gewusst, dass er so schnell klettern konnte - dass irgendjemand so schnell klettern konnte.
    Dass er den Rucksack geworfen hatte, verschaffte ihm ein paar kostbare Sekunden Vorsprung, die ihm wahrscheinlich das Leben retteten. Knapp außer Reichweite des Bären klammerte sich Sergej verzweifelt an die Felswand. Wenn er sich richtig erinnerte, konnten Bären auf Bäume klettern, aber keine Felswände erklimmen. Er betete zu Gott, dass er sich nicht irren möge.
    Der Bär stand knurrend am Fuß der Felswand und streckte sich so hoch er konnte. Mit seinen messerscharfen Klauen schlug und kratzte er nur Zentimeter von Sergejs Füßen entfernt um sich. Sergejs Beine zitterten so sehr, dass er fast seinen Halt verloren hätte.
    Der wütende Bär lief auf und ab, brüllte und riss den Rucksack in Fetzen. Nachdem er nach Nahrung gesucht und keine gefunden hatte, wandte er sich schließlich ab und verschwand in der Schlucht. Sergej kletterte ein kleines Stückchen tiefer, lauschte einige Sekunden, bevor er heruntersprang und hart aufschlug. Er sah sich noch einmal kurz um, dann griff er sich den zerrissenen Rucksack, sein Messer, den Spaten und die anderen, für das Überleben notwendigen Dinge und rannte in die entgegengesetzte Richtung.
    Sollte der Bär zurückkommen, würde er keine Mühe haben, ihn einzuholen. Dieser Gedanke gab Sergej die nötige Energie und Geschwindigkeit, um in Rekordzeit den Berg hinunterzulaufen.
    Am späten Nachmittag saß Sergej unter einem Felsüberhang und besah sich den Zustand seines zerrissenen Rucksacks und seiner Decke. Er baute sich links und rechts von sich zwei kleine Feuer, um warm zu bleiben. Und er sann über seine fast tödlich verlaufene Begegnung nach. Angesichts der Tatsache, dass er nur knapp dem Tod entkommen war, wurde ihm - ohne dass er Worte dafür gehabt hätte - bewusst, wie wertvoll ein Leben ist und was für eine unglaubliche Möglichkeit es darstellt. Was werde ich wohl mit dem Rest der mir verbleibenden Zeit anfangen? ,

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