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Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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…?«
    »Ich kann es nicht fassen, dass du hier bist«, erwiderte sie, ohne auf seine Frage einzugehen. »Nachdem wir hierher gezogen waren, habe ich die Anstalt benachrichtigt, aber es hieß, du wärest weg.«
    »Geht es den Kindern gut?«
    Sara lächelte. »Es geht ihnen gut, aber wie du bald selbst sehen wirst, sind sie längst keine Kinder mehr. Setz dich, Sergej, ich mache uns Tee und erzähle dir alles.«
    Sie führte Sergej in das Wohnzimmer, das von der hellen Mittagssonne erleuchtet wurde, und ging dann in die Küche, um Tee zuzubereiten. Sergej saß in einem Sessel am Fenster und sah auf die gepflasterte Straße hinunter. Er berührte die abgegriffenen Armlehnen, die sich irgendwie vertraut anfühlten. Und der matt glänzende Parkettboden kam ihm ebenfalls bekannt vor. Hier hatte er als kleines Kind gespielt.
    Aus der Küche hörte er die hohe Stimme Saras: »O Sergej, dein Großvater wäre so glücklich, wenn er wüsste, dass du hier bist!«
    »Wo sind denn Awrom und Leja?«, rief er laut genug zurück, dass Sara ihn trotz der Geräusche des kochenden Wassers hören konnte.
    »Sie nennen sich jetzt anders, ich übrigens auch«, sagte Sara, als sie mit einer Kanne Tee und einigen Keksen aus der Küche kam. »Iss etwas. Ich habe die Kekse gestern erst gebacken. Jetzt erzähl mal, wie du uns gefun…«
    »Sara, bitte!«, unterbrach er sie, »wieso bist du hier und wieso lebst du noch?«
    Sara ignorierte seine Frage. »Wie gut du doch aussiehst«, sagte sie und wandte sich der alten Uhr an der Wand zu. »Schau nur, sie ist schon wieder stehen geblieben. Ich weiß nie, wie spät es ist. Ich muss sie unbedingt reparieren lassen. Die Kinder müssen bald da sein, ich weiß nicht, wo sie bleiben. Hab ich dir erzählt, dass Awrom nun Andreas heißt und Leja Anja? Und ich … Ich bin Valeria Panowa. Dein Großvater hat dafür gesorgt, dass wir neue Namen bekommen haben, damit uns nichts geschieht …«
    Sie brach ab und ihre Augen starrten blicklos ins Leere.
    »Sara, was ist passiert?«, fragte Sergej sie noch einmal.
    »Ja, ich glaube, du solltest es wohl wissen«, antwortete Sara. Sie griff nach Sergejs Hand, vielleicht um sich selbst Mut zu machen. Da sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte, stellte sie zuerst eine Frage. »Du hast nach den Kindern gefragt, Sergej, aber nicht nach Benjamin. Wieso?« Ihre Stimme zitterte, als ob sie Angst hatte, die Antwort zu erfahren.
    Sergej seufzte. »Als der Zar im Jahr 1881 ermordet wurde, also etwa ein Jahr nachdem mein Großvater und ich euch besucht hatten, wurde an der Anstalt viel über Juden geredet. Ich machte mir Sorgen um euch. Also bin ich eines Nachts ausgerissen und zu eurer Hütte gewandert.«
    »Mitten in der Nacht? Du warst doch noch so klein!«
    »Aber ich musste euch doch warnen. Ich kam an der Hütte an, nachdem es bereits geschehen war.«
    »Dann weißt du es also?«
    Er nickte. »Wenn ich doch nur früher gekommen wäre. Ich hab mir so oft gewünscht, dass ich euch hätte warnen können. Aber als ich ankam, waren nur noch rauchende Trümmer da. Ich habe eine Leiche gefunden, von der ich annehme … Nein, ich bin mir sicher, dass es dein Mann war. Ich zog seinen Körper aus den Trümmern und legte ihn in ein Grab, das ich mit meinen eigenen Händen geschaufelt habe.«
    Valeria schlug die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen.
     
    Nach einiger Zeit fragte Sergej, wie sie und die Kinder hatten entkommen können. Sara antwortete langsam, denn sie hatte offensichtlich Mühe, die richtigen Worte zu finden. »Du weißt doch, wie gern Benjamin mit Holz gearbeitet hat. Er bewunderte immer die Biber, die geheime Tunnel aus ihren Behausungen heraus bauten. Als er unsere Hütte errichtete, grub er ebenfalls einen Gang vom Keller vierzig Meter durch den Wald. Dort war ein gut getarnter Ausgang. Ich hab mich noch über sein Projekt lustig gemacht, denn er brauchte länger, den Tunnel zu graben, als unser Haus zu bauen.«
    Sie seufzte und sah einen Augenblick lang geistesabwesend aus dem Fenster, bevor sie fortfuhr: »Der Tunnel hätte auch Benjamins Leben gerettet, wenn er nicht noch einmal zurückgelaufen wäre. Erst später wurde mir klar, dass er ihnen die Tür aufmachen wollte, damit sie uns nicht suchen und den Tunnel entdecken würden. O Sergej, es ging ja alles so schnell und plötzlich stand die ganze Hütte in Flammen.«
    »Sie müssen erwartet haben, dass wir alle nach draußen rennen würden, damit sie uns dort …« Sie konnte nicht weitersprechen.

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