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Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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schon ein paar Monate später alle seine Träume wie Seifenblasen platzen sollten.

15
    E ines Abends fragte Valeria Sergej beim Essen nach seinen Zukunftsplänen.
    »Na ja«, antwortete dieser, »ich werde tun, was ich kann, um meine Situation zu verbessern. In Amerika soll es unbegrenzte Möglichkeiten geben.«
    Plötzlich war es totenstill.
    Andreas fand als Erster die Worte wieder. »Hast du Amerika gesagt? Aber ich hatte angenommen, dass …«
    »Das hatten wir alle angenommen«, unterbrach ihn Valeria mit tonloser Stimme.
    Sergej starrte erst Andreas an, dann Valeria. Plötzlich verstand er: Natürlich hatten alle gedacht, dass er bleiben würde. Immerhin hatte er einen Job und würde bald eine Familie gründen. Sie alle nahmen an, dass er seine Pläne geändert hatte, dass er mit Anja weiterhin hier leben würde, bis sie eine geeignete Wohnung in der Nähe gefunden hatten.
    Sergej war der Meinung, dass er seine Absicht, nach Amerika auszuwandern, nie verheimlicht und sie ihnen mehr als einmal deutlich mitgeteilt hatte. Er war einfach davon ausgegangen, dass sie verstehen würden, dass Anja und er sich jenseits des Meeres ein neues Leben aufbauen würden.
    Die folgende Stille war so tief, dass Sergej hören konnte, wie die anderen atmeten. Schließlich brach Valeria das Schweigen und sagte: »Das werde ich nicht zulassen. Du wirst meine Tochter nicht in ein fremdes Land mitnehmen. Ich würde sie ja niemals wiedersehen.«
    »Mutter«, sagte Sergej, »bitte, ich weiß, wie sehr du Anja liebst und wie sehr du dir wünschst, dass sie ein besseres Leben hat als dieses.«
    »Was soll das heißen: ein besseres Leben? Was gibt es denn dort in deinem fabelhaften Amerika?«, verlangte sie zu wissen.
    Sergej dachte einen Augenblick nach, bevor er antwortete. »Du weißt doch, dass es für Juden hier nicht leicht ist … mit den herumstreifenden Kosaken und den Pogromen …«
    » Du musst uns nichts über Kosaken und über Pogrome erzählen«, unterbrach ihn Andreas scharf. »Wir haben die Feindschaft, die man uns Juden entgegenbringt, schließlich am eigenen Leib erfahren. Der leere Platz unseres Vaters am Tisch erinnert uns jeden Tag daran. Und warum spielen wir wohl dieses Schmierentheater mit den falschen Namen? Warum verbergen wir wohl unsere wahre Identität? Erzähl du uns nichts davon, wie schwer es ist, hier zu leben!«
    »Natürlich hast du Recht, Andreas. Bitte verzeih meine unbedachten Worte. Aber all diese Probleme sind doch umso mehr Grund für dich und Valeria, mit uns nach Amerika zu kommen. Dort könnt ihr zu euren Namen und zu eurer Religion stehen. In Amerika könnt ihr euch ein neues Leben aufbauen. Dort könnt ihr den Sabbat in aller Öffentlichkeit feiern und eure Religion offen ausüben.«
    Dann wandte sich Sergej an Valeria. »Mutter, ich will dir Anja nicht wegnehmen. Ich will doch nur, dass sie ein besseres Leben hat. Komm mit uns!«
    Valeria stand schwerfällig auf und erwiderte: »Ich … ich werde jetzt in mein Zimmer gehen, um dort in Ruhe nachzudenken. Anja, würdest du bitte das Geschirr …« Sie drehte sich um und ging schnell aus dem Zimmer, bevor der Schmerz auf ihrem Gesicht zu deutlich sichtbar wurde.
    Anja wollte ihr nach, besann sich dann aber eines Besseren, weil sie wusste, dass ihre Mutter sie schon rufen würde, wenn sie sie bräuchte. Also blieb sie mit Sergej und ihrem Bruder stumm am Tisch sitzen. Sergej wollte etwas sagen - irgendetwas, das die Kluft überbrücken könnte, irgendetwas, das die neu aufgerissene Wunde heilen würde -, aber er wusste nicht, was er jetzt noch sagen könnte.
    Stattdessen fragte er sich selbst: Ist es egoistisch von mir, Anja aus ihrer Familie herauszureißen und sie mit mir nach Amerika zu nehmen? Er sah Anja an, die auf ihre Hände blickte. Unter seinem Blick hob sie den Kopf, sah ihm direkt in die Augen und sagte leise: »Sergej, was auch immer passieren mag, wohin du auch gehen magst, ich werde immer an deiner Seite sein.«
    Sergej hätte Anja am liebsten umarmt, aber solange Valeria nicht zurück war, schickte es sich nicht. Deshalb konnte er nur sitzen bleiben und warten. Aber eines wusste er sicher: Sie würden heiraten. Er würde ihr Mann werden und sie würden dort leben, wo er das Beste für sie zu finden glaubte. Aber würde Anja wirklich ohne den Segen ihrer Mutter gehen?
    Sergej seufzte, als ihm klar wurde, dass Liebe und Familienbande manchmal eine größere Herausforderung sein können als ein Winter in den Bergen. In der Wildnis

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