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Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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dass ihn Razin aufmerksam ansah.
    Und dann geschah es: Auf Razins Gesicht breitete sich ein Lächeln aus - das erste, dass Sergej je an ihm gesehen hatte.
    Dadurch ermutigt fragte er den Alten: »Razin, heißt das, dass mein Training jetzt anfängt?«
    »Nein«, antwortete der alte Mann. »Dein Training ist abgeschlossen. Du darfst gehen.«
    Augenblicklich begriff Sergej, was Razin ihn gelehrt hatte. Die vielen Schläge hatten in ihm die Fähigkeit wachgerufen, völlig instinktiv auf Gefahr zu reagieren und ihr spontan auszuweichen. Er war endlich bereit, die Konfrontation mit Sakoljew zu suchen.
    Die Zeit des Abschieds war gekommen. Sergej hatte Dikar gesattelt und war dabei aufzusteigen, als er spürte, dass jemand hinter ihm stand. Er wirbelte herum und sah Razin.
    Der nickte. »Gut, wenigstens hab ich meine Zeit nicht völlig mit dir verschwendet.«
    »Glauben Sie, dass ich soweit bin, es mit diesen Männern aufzunehmen?«
    »Natürlich nicht! Aber du bist so weit, zu lernen.«
    Da Razin nie viel sagte, nahm Sergej an, dass er fertig war. Aber als er aufgestiegen war, fuhr Razin fort: »Es gibt einen Meister, der viel besser ist als ich.«
    »Ein Meister des Schwertes?«
    »Ein Meister von allem und nichts. Ich habe gesehen, wie er gegen hundert Gegner kämpfte und einen nach dem anderen besiegte. Er kann einen Mann zu Boden werfen, ohne ihn auch nur zu berühren.«
    Razin hielt erneut inne. Dann fuhr er fort: »Ich habe gehört, dass er auf der Mönchsinsel Walaam im Ladogasee lebt. Vielleicht kann er dir weiterhelfen.«
    Dann war er still. Er hatte genug gesagt. Mit einem Kopfnicken wandte er sich um und verschwand im Wald.

26
    V on Zeit zu Zeit musste Sergej an den geheimnisvollen Meister am Ladogasee denken, während ihn Dikar westwärts zum Don trug. Aber meistens dachte er über die beiden langen Reisen nach, die er in den Süden Russlands unternommen hatte: die erste hatte er gemacht, weil er aus der Anstalt geflohen war, die zweite, weil er sich vorgenommen hatte, Sakoljew und seine Männer zu töten. Wahrscheinlich mordeten und brandschatzten sie genau in diesem Augenblick irgendwo im Südwesten, irgendwo im jüdischen Siedlungsgebiet. Er hatte nicht die Absicht, noch einmal tausend Kilometer nach Norden zu reiten, nur weil Razin irgendeinen mysteriösen Krieger erwähnt hatte, der auf irgendeiner gottverlassenen Insel lebte. Falls es ihn überhaupt gab, würde er sicher nicht da sein, und falls er da sein sollte, würde er ihm sicherlich nichts beibringen können.
    Die Erwähnung des Ladogasees, der nur etwa einhundert Kilometer von Sankt Petersburg - und damit von der Wiese - entfernt lag, riss die alten Wunden wieder auf. Sergej fröstelte, wenn er an seine Frau und sein Kind dachte, die dort verscharrt waren. Nein, er würde seine Jagd nicht noch länger verzögern. Entschlossen lenkte er sein Pferd nach Westen.
    Im späten Mai des Jahres 1894 überquerte Sergej den Don und ritt quer durch die Ukraine, das Dnjepr-Becken und den jüdischen Rayon. Als er eines Tages einmal mit dem Finger über die Karte fuhr, wurde er sich der Ungeheuerlichkeit der vor ihm liegenden Aufgabe bewusst. Für seine Finger war es ein Leichtes, über Seen, Ebenen, Wälder und Felder zu gleiten, aber wenn er seine Augen hob und das Land mit seinen Flüssen, Steilhängen und endlosen Ebenen tatsächlich vor sich sah, dann verließ ihn der Mut. Wie sollte er in diesem riesigen Land eine kleine Gruppe Männer finden? Es wäre auch nicht schwerer, eine Fliege zu fangen, die jemand drei Tage zuvor durch einen Saal hatte fliegen sehen.
     
    Nachdem er zwei Monate lang kreuz und quer durch die gesamte Ukraine geritten war - an Kharkow, Poltawa und Kiew vorbei -, war Sergej seinem Ziel doch kein Stück näher gekommen. Ein jüdischer Händler hatte etwas über eine Kosakenbande im Westen gehört, ein anderer war sich sicher, dass man sie zuletzt im Osten gesehen hatte … oder im Norden … oder im Süden. Ein Bauer berichtete, dass er einen Freund hatte, der von einem Freund gehört hatte, dass Geister nachts Gehöfte überfielen, mordeten und plünderten, um sich dann bei Tagesanbruch in Nichts aufzulösen.
    Im August, als Sergej unter der unbarmherzig herniederbrennenden Sonne dahinritt und sich zum wiederholten Male den Schweiß von der glühenden Stirn wischte, dachte er mit Wehmut an den Winter zurück. Dikar war durstig und störrisch und senke bei jeder Gelegenheit den Kopf, um nach Wasser zu suchen. Der Sommer verging so wie

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