Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
Vom Netzwerk:
Kosaken umzustoßen. Es war ihm nicht gelungen und es hatte sich angefühlt, als ob er einen Berg bewegen wollte, aber bei Seraphim war es so, als versuche man eine Feder umzustoßen. Es gelang einfach nicht, weil gar nichts da war, das man hätte stoßen können.
    Der alte Mann wich Sergejs Angriffen einfach aus, wand sich wie eine Schlange und brachte ihn mit Händen, Füßen oder - so schien es Sergej - nur mit seinem Geist zu Fall. Erst gegen Ende der Stunde versetzte Seraphim ihm einen leichten Schlag, der Sergej auf der Stelle lähmte und es ihm mehrere Minuten lang unmöglich machte, sich zu bewegen. Sergej fragte sich, was wohl passiert wäre, wenn Seraphim es darauf angelegt hätte, ihm weh zu tun.
    Am nächsten Tag nahm Seraphim Sergej mit auf einen Spaziergang zu einem der nahe gelegenen Gärten mit Wintergemüse. Als sie durch den Schnee stapften, sagte Seraphim nachdenklich: »Es gibt einen guten Grund, warum es in der Bibel heißt: ›Mein ist die Rache, spricht der Herr.‹ Wer gibt dir das Recht, den Racheengel zu spielen?«
    »Ich bilde mir nicht ein, dass Gott mir aufgetragen hat, diese Männer zu töten, Seraphim. Ich weiß auch nicht, ob die Seele meiner Frau durch den Tod ihrer Mörder Ruhe finden wird. Ich weiß nur, dass meine Seele dadurch Frieden finden wird.«
    »Glaubst du das wirklich?«
    »Ja, daran glaube ich.«
    »Du kannst nicht ungeschehen machen, was diese Männer getan haben.«
    »Aber ich kann verhindern, dass sie noch mehr Leben zerstören.«
    »Gibt es keine Möglichkeit, dich von deinem Vorhaben abzubringen?«, fragte Seraphim.
    »Es ist etwas, das ich einfach tun muss«, antwortete Sergej. Der alte Mönch seufzte. »Also gut. Dann werde ich dich in die Welt der Schatten führen und dir die Hölle zeigen. Vielleicht wirst du dich dann eines Tages nach dem sehnen, was ich dir wirklich geben möchte.«
    »Und was möchten Sie mir geben?«, fragte Sergej.
    »Frieden.«
    »Es gibt für mich nur einen Weg zum Frieden.«
    »Den Tod …«
    »Ja, ihrer oder meiner. Vielleicht auch unser beider«, antwortete Sergej. »Und ich kann nicht länger warten. Ich muss sie bald finden. In drei Monaten oder sechs, aber spätestens in einem Jahr.«
    Seraphim sah Sergej forschend an, bevor er weitersprach. »Es steht uns nicht zu, zu sagen, wie lange etwas dauern wird.«
    »Glauben Sie denn, es wird noch länger dauern?« Seraphim nickte.
    »Wie viel länger?«
    Seraphim sagte eine Weile lang nichts. Dann antwortete er nachdenklich: »Ein Leben kann sich in einem Sekundenbruchteil für immer verändern, ein Herz kann sich in einem einzigen Augenblick der Gnade Gottes öffnen. Aber sich auf diesen Moment vorzubereiten dauert Jahre.«
    Seraphim fing an, vor Sergej auf und ab zu gehen. »Das Lernen geht schnell, aber das Verlernen dauert lang. Alte Gewohnheiten sind nur schwer abzulegen - und übereifrige Krieger sterben jung. Aber wenn du bereit bist, ganz von vorn anzufangen, dann schaffst du es vielleicht in zehn Jahren.«
    »Ich habe keine zehn Jahre!«
    Seraphims Augen blitzten, als er in scharfem Ton erwiderte: »Du musst wahrhaft ein großer Mann sein, wenn du derartige Forderungen an Gott stellst. Und du musst unermesslich weise sein, wenn du weißt, wie lange etwas dauern wird.«
    Darauf wusste Sergej nichts zu erwidern. Als sie den Garten verließen und sich auf den Rückweg machten, fragte er: »Wie viele Schüler haben Sie bisher unterrichtet?«
    Seraphim seufzte. »Keiner hat je von mir das gelernt, was du zu lernen begehrst.«
    »Warum wollen Sie mich dann unterrichten? Gibt es so etwas wie eine Aufnahmeprüfung?«
    »Die ist dir bereits auferlegt worden - von Razin und vom Leben.«
    »Was wissen Sie von meinem Leben?«
    »Ich habe genug gesehen.«
    Sergej schüttelte verwirrt den Kopf und fragte sich, was der alte Mönch wohl gesehen haben mochte. »Sie unterrichten mich also einfach so, ohne etwas als Gegenleistung zu erwarten?«
    »Es wäre ein Fehler, dies als persönlichen Gefallen zu betrachten, Socrates. Ich tue es nicht für dich, ich tue es für Gott, denn nur Ihm diene ich. Und ich tue es, weil es einem höheren Sinn dient, den keiner von uns in diesem Moment voraussehen kann.«

29
    V iele von Sakoljews Männern - und alle Frauen, die sie mittlerweile »aufgelesen« hatten - wünschten sich ein permanentes Lager. Sie wollten ein eigenes Dorf aufbauen - ein Dorf, das wie die Dörfer aussehen sollte, aus denen sie kamen. Aber die Antwort ihres Anführers war bisher immer

Weitere Kostenlose Bücher