Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
Vom Netzwerk:
Feiertagen Tee. Es war ein einfaches asketisches Leben, in dem sich Arbeit, Kontemplation und Training abwechselten.
    Während einer stillen Stunde der Reflektion wurde sich Sergej plötzlich bewusst, dass er seinem Onkel Wladimir niemals geschrieben hatte, was umso bedauerlicher war, da Sakoljew seinen Abschiedsbrief zerrissen hatte. Wahrscheinlich glaubte sein Onkel, dass Sergej tot wäre.
    Er beschloss, ihm sofort zu schreiben, und nahm die Feder zur Hand.
    Lieber Kommandant Iwanow,
     
    Ich schreibe Ihnen diesen schon lange fälligen Brief, um
mich dafür zu entschuldigen, dass ich die Anstalt ohne Ihre
Erlaubnis verlassen habe. Ich tat, was ich tun musste, und
es tut mir nicht leid, dass ich es getan habe. Ich danke
Ihnen für die Güte und die Fürsorge, die Sie mir während
meiner Kindheit haben angedeihen lassen. Ich werde dies
niemals vergessen. Ich werde Sie niemals vergessen.
    Ich lege die Landkarte bei, die ich aus Ihrer Bibliothek
entwendet hatte. Ich gebe sie Ihnen hiermit zurück, auch
wenn sie inzwischen etwas lädiert ist. Sie hat mir gute
Dienste geleistet und ich danke Ihnen dafür, dass Sie sie
mir »geliehen« haben. Das Messer, den Spaten, den Kompass
und die Vorräte werde ich Ihnen eines Tages zurückgeben
beziehungsweise ersetzen.
    Während meiner Wanderungen durch die Weiten Russlands
haben es mir die Fähigkeiten, die ich in der Newski-Kadettenanstalt
gelernt habe, ermöglicht, auch unter
widrigsten Umständen zu überleben. Ich bin heute vierundzwanzig
Jahre alt. Obwohl ich aus der Anstalt geflohen
bin, möchte ich Ihnen doch versichern, dass Ihre Fürsorge
und Ihre Ausbildung mir sehr geholfen haben.
    Ich respektiere Sie als Menschen und als Kommandanten,
aber ich habe in Ihnen immer zuerst den Onkel
gesehen. Sie sind für mich das nächste Mitglied meiner
Familie. Ich werde mich immer an Sie erinnern und ich
werde Sie stets in meine Gebete einschließen.
     
    Ihr Neffe
Sergej
    Als er den Brief mit Wachs versiegelte, sah er vor seinem geistigen Auge das strenge Gesicht seines Onkels. Sergej verspürte nicht mehr die Angst und Ehrfurcht, die er als Kind gespürt hatte, sondern tiefe Zuneigung für diesen guten Mann.
    Mit dem Schreiben dieses Briefes hatte er ein offenes Kapitel seines jungen Lebens abgeschlossen. Aber der größte Teil seiner Vergangenheit war noch unbewältigt. Und solange er diese Aufgabe nicht erfüllt hatte, war er ein Mann ohne Zukunft.
     
    Während der kurzen bitterkalten Wintertage folgte Sergej derselben Routine aus Arbeit, Reflektion, Training, Essen und Schlafen. Es kam ihm vor, als wäre er wieder an der Newski-Kadettenanstalt, als wäre er nie weggegangen, als träte er auf der Stelle. Jeden Tag nahm seine Frustration zu.
    Aber eines Tages veränderte sich das alles. Er hatte nichts Besonders getan, vielleicht war es einfach nur Glück oder gutes Timing gewesen. Aber vielleicht hatte er auch endlich das Herz des Meisters erweicht.
    Mehr als vier Monate waren seit Sergejs Ankunft auf der Klosterinsel vergangen. Er musste daran denken, wie oft er sich in der Kadettenanstalt, als er ständig von Soldaten umgeben war, nach innerem Frieden gesehnt hatte. Nun befand er sich an einem Ort des Friedens und suchte nach einem Krieger. Sergej trainierte auch weiterhin - aber ohne irgendwelche Fortschritte zu machen. Die Winterkälte draußen spiegelte sich in der Kälte wider, die sich in seinem Herzen niedergelassen hatte. Sergej fing langsam an, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass er diesen Ort bald wieder verlassen müssen würde und damit ein weiteres Jahr seines Lebens verschwendet hatte. Da geschah es.
    An einem Nachmittag gegen Ende März 1897 - er hatte gerade seine Aufwärmübungen abgeschlossen und die Kampfstellung eingenommen - sah er aus den Augenwinkeln, dass Vater Seraphim ihn beobachtete.
    Die Arme des alten Mönches waren über der breiten Brust verschränkt. Er schüttelte den Kopf und lächelte, als ob er Sergejs Künste bemitleidenswert fände. »Was in Gottes Namen machst du denn da?«, fragte er ihn mit allen Anzeichen der Verwunderung.
    »Ich trainiere. Ich bereite mich auf einen Kampf vor.«
    »In einem richtigen Kampf«, sagte Vater Seraphim immer noch kopfschüttelnd, »gibt es weder Aufwärmübungen oder festgelegte Techniken noch irgendwelche Regeln. Ich glaube nicht, dass dir das Üben dieser Formen helfen wird, den Männern, die du jagst, gegenüberzutreten.«
    Als er diese Worte hörte, überschlugen sich Sergejs

Weitere Kostenlose Bücher