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Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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überraschend, aber Sergej wich ihm dennoch aus - wie er es gelernt hatte. Als Seraphim wieder auf ihn zukam, parierte Sergej den Fauststoß.
    »Bewege dich ganz natürlich«, sagte der Mönch, nahm Sergejs Schultern in die Hände und schüttelte ihn durch. »Weniger wie ein Soldat, mehr wie ein Kind. Du bist viel zu angespannt. Selbst wenn du dich bewegst, solltest du dich entspannen. Entspannen, entspannen, entspannen.«
    »Ich bin entspannt«, konterte Sergej.
    »Es gibt Entspannung«, belehrte ihn Seraphim, »und es gibt Entspannung .«
    »Selbst bei einem Kampf auf Leben und Tod?«
    »Dann ganz besonders«, antwortete Seraphim und griff wieder an. Dann sagte er: »Es ist eine Binsenweisheit, dass mehr Männer an Erschöpfung sterben als an mangelnden Fähigkeiten. Nur wenn du dich auch in gefährlichen Situationen entspannen kannst, wirst du länger kämpfen können und länger leben. Übe also, dich bei allem, was du tust, zu entspannen - sei es beim Kochen oder beim Waschen. Lass die Bewegung einfach geschehen, statt sie erzwingen zu wollen.«
    Im Lauf der nächsten Woche musste Sergej das Wort »entspannen« Hunderte von Malen am Tag vor sich hin sagen, tief einatmen und alle unnötige Spannung loslassen - vor allem bei schwerer körperlicher Arbeit oder während des Trainings.
    »Es geht nicht nur um Schläge oder Tritte«, erklärte ihm Seraphim. »Alles ist Training. Alles, was du tust, gehört zu deinem Training. Sei hier und jetzt. Atme und entspanne dich - im Kampf wie im Leben.«
    Genervt und angespannter als je zuvor, flehte Sergej seinen Lehrer an: »Bitte Seraphim, hören Sie auf, mir ständig zu sagen, dass ich mich entspannen und atmen soll. Ich hab das mittlerweile kapiert.«
    »Das wird sich zeigen«, spottete Seraphim. »Dann beweise es mir.«
     
    Auf ihren Spaziergängen über die Insel hieß Seraphim Sergej, im Einklang mit seinen Schritten rhythmisch ein- und auszuatmen. Schließlich konnte Sergej vierundzwanzig Schritte lang einatmen und vierundzwanzig Schritte lang ausatmen. Seraphim machte noch zehn weitere Schritte, er hatte Lungen wie Blasebälge.
    Als sich das Jahr dem Ende zuneigte, wurde das Training für Sergej immer frustrierender. »Du klammerst dich immer noch an Altvertrautes, Socrates. Du hältst dich an Techniken fest, die du schon tausendmal geübt hast. Du kannst nicht jede Situation vorhersehen. Die Wirklichkeit wird dich immer überraschen.«
    Während dieser Zeit fing Seraphim an, Sergej überraschend anzugreifen - so wie es auch Razin getan hatte. Der alte Mönch schlug Sergej Tag und Nacht und bei den unmöglichsten Gelegenheiten: wenn Sergej auf einem Botengang war, der ihn über felsigen oder schlammigen Boden führte, am Seeufer oder im Wald, manchmal sogar in den Gängen der Einsiedelei. Sergej war nirgends mehr sicher, der alte Mann griff ihn sogar an, wenn er auf der Latrine war.
    Endlich erklärte Seraphim ihm den Grund dafür. »Jede Situation ist einzigartig. Da dein Gegner immer unberechenbar sein wird, muss deine Verteidigung ebenfalls unberechenbar sein. In einem echten Kampf geht es immer unorthodox zu. Alles kann und wird passieren. Dein Gegner kann eine versteckte Waffe tragen oder Kumpane in der Nähe haben. Erst scheint er betrunken zu sein, plötzlich ist er aber hellwach. Er kann stärker oder schneller sein als du. Nimm nichts an, sieh nichts voraus, versuch nicht zu erraten, was dein Gegner von dir will oder was er als nächstes tun wird. Sei einfach wachsam und reagiere immer ganz spontan auf das, was geschieht.«
    »Heißt das, dass ich mich bewegen soll, ohne zu denken?« »Im Kampf hast du keine Zeit zum Denken. Vorher kannst du planen und Strategien entwickeln, aber alle Pläne sind immer nur provisorisch und müssen spontan an die Situation angepasst werden. Was immer auch geschehen mag, sicher ist nur eines: Es wird nicht so laufen, wie du es geplant hast. Erwarte nichts, aber sei auf alles vorbereitet. Entspanne dich und vertraue der Weisheit deines Körpers. Er wird schon richtig reagieren.«
    »Das hab ich bei Razin erlebt.«
    Seraphim nickte zustimmend. »Du hast es erlebt, aber jetzt musst du es meistern. Du musst es unter allen Umständen können, selbst wenn du verletzt bist, wenn du überwältigt worden bist, wenn du einen richtig schlechten Tag hast. Das bedeutet, dass du alle vorgefassten Meinungen über deinen Gegner über Bord werfen musst. Ganz gleich, ob es sich nun um eine Faust, einen Stein, einen Säbel oder ein

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