Söhne der Erde 02 - Der Rote Kerker
von Mornag starrte mit schmalen Augen auf die Zeichnung.
»Die Universität wird bewacht«, wiederholte er die letzte Antwort. »Aber wie bewacht? Sind die Eingänge nachts geschlossen?«
Der Liquidationschef schwitzte. Das alte Kadnos verfügte über keine feldgesteuerte Klimaanlage.
»Nein«, murmelte er. »Die Forschungsabteilungen arbeiten auch nachts. Aber es gibt Patrouillen und Überwachungsanlagen, überall, wo gearbeitet wird.«
»Wo gearbeitet wird... Auch im Museum?«
»N-nein.«
»Und das Museum grenzt an die Klinik«, sagte Charru. »Den Gebäudeplan haben wir. Wenn wir es unbemerkt bis zu dieser sogenannten Vorbereitungsstation schaffen, können wir notfalls mit Gewalt durchbrechen.«
»Nein«, flüsterte John Rouver erschrocken. »Das ist unmöglich!«
Charru zuckte gleichmütig die Achseln. »Ein paar Flure, eine Tür, ein paar Straßen. Es wird eine Menge Aufregung geben, und eure Vollzugspolizisten dürften es sich dreimal überlegen, ehe sie riskieren, versehentlich ihre eigenen Leute zu töten.«
»Aber ihr werdet gar nicht so weit kommen!« beteuerte der Liquidationschef. »Ihr könnt nicht einmal die Stadtgrenze überschreiten, ohne von den Wachrobotern betäubt zu werden. Ihr müßtet schon Gleiterjets benutzen. Und auf dem Rückweg hättet ihr den Vollzug auf den Fersen.«
»Nicht die Wachroboter?«
»Nein«, sagte Rouver verwirrt. »Darauf sind sie nicht programmiert. Warum sollte jemand nachts die Stadt verlassen wollen?«
»Und wer will sie nachts betreten?«
»Niemand. Das heißt es ist wegen der Exilierten. Früher kam es häufig vor, daß der Rat die zeitweise Verbannung ins Vorland aussprach. Heute kaum noch. Aber man kommt trotzdem nicht an den Wachrobotern vorbei.«
»Außer mit einem Gleiterjet«, wiederholte Charru.
»Ja, schon...«
»Und wo gibt es außerhalb der Stadtgrenzen einen Gleiterjet?«
John Rouver schluckte.
Fassungslos starrte er den schwarzhaarigen Barbaren an. Die Schreckensvision eines bewaffneten Angriffs auf Kadnos tauchte vor ihm auf, und er begriff plötzlich, daß er dabei war, Hochverrat zu begehen.
»N-nirgends,« stammelte er mit bleichen Lippen.
Charru lächelte nur.
Rouver begriff, daß der Barbar ihn getäuscht hatte, daß er nicht leichtfertig und überheblich war, sondern geschickt vorging. Er hatte ihn, John Rouver, dazu gebracht, viel mehr an Informationen herauszusprudeln, als man ihm hätte entreißen können. Jetzt war es zu spät. Fast zu spät. Rouvers Blick glitt über die vielen Gesichter, die zornigen Augen, die geballten Fäuste, und er versuchte, sich innerlich zu wappnen.
»Du lügst«, sagte Charru ruhig. »Aber du wirst nicht lange lügen. Wir brauchen ein Fahrzeug, und wir werden es bekommen. Also?«
Der Liquidationschef preßte die Lippen zusammen.
Er zitterte, als das drohende Gemurmel um ihn lauter und ungeduldiger wurde. Malte er sich aus, was man ihm antun konnte? Charrus Gesicht war steinern. Er hatte sein Leben lang die Grausamkeit der Priester gehaßt und die Angst, die sie verbreiteten. Wenn die Drohung nicht genügte, würde er einen anderen Weg finden, aber er würde keinen Wehrlosen foltern.
Rouver schloß erschöpft die Augen. Er war nicht stark genug.
»Der Raumhafen«, flüsterte er. »Es gibt Gleiterjets auf dem Gelände des Raumhafens, ein Platz neben der Versorgungszentrale.«
»Wo ist dieser Raumhafen? Und was ist er?«
John Rouver redete.
Seine Stimme zitterte. Schweiß strömte über seinen Körper; er wand sich im Bewußtsein seiner Feigheit, aber er redete. Die Gesichter verschwammen vor seinen Augen. Fragen und Antworten wirbelten in seinem Kopf durcheinander, fügten sich zusammen, wurden zu einer unerbittlichen Kette, an deren Ende eine schreckliche Erkenntnis stand.
Es war möglich!
Diese Barbaren würden tun, was sie sich vorgenommen hatten, und es war möglich! Niemand rechnete auch nur im Traum damit. Niemand würde seinen Augen trauen, niemand schnell genug reagieren und deshalb konnte es gelingen.
»Das genügt«, sagte Charru schließlich leise.
Er war erschöpft von der Anstrengung, sich all die Einzelheiten ins Gedächtnis zu prägen. Die Stille in dem großen Raum verriet Sorge, Zweifel, vielleicht Hoffnungslosigkeit. Wie konnte man sich gegen eine Macht behaupten, deren Raumschiffe zu den Sternen flogen? Gegen Wissen, das Maschinenmenschen baute, die Elemente beherrschte und die Naturgesetze aufhob? Und was hatten sie gewonnen, wenn sie es schafften, ihre Brüder zu
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