Söhne der Erde 02 - Der Rote Kerker
sich etwas vom Boden und stieg lautlos, mit atemberaubender Geschwindigkeit in den Himmel.
Eine silberne Scheibe, kuppelartig nach oben gewölbt.
Sprühend in einem unirdischen Licht, immer schneller kreisend, immer höher steigend - bis sie nur noch ein leuchtender Punkt war, ein Stern unter den Sternen.
Die Transportfähre Robot FIy X 1 startete jede Woche, um im Wechsel mit der ebenfalls unbemannten Robot Fly X 2 die Beobachtungsstationen auf den beiden kleinen Monden des Mars zu versorgen.
Für die drei Terraner war sie eine leuchtende Vision der Hoffnung.
*
Simon Jessardin warf einen Blick auf das Sichtfeld des Chronometers.
In ein paar Minuten würde Conal Nord aufbrechen, eskortiert von zwei vertrauenswürdigen Männern aus der Spitze der Polizeiverwaltung. Die Aktion unterlag strengster Geheimhaltung. Für die Moral des Vollzugs konnte es katastrophale Folgen haben, wenn bekannt wurde, daß man mit den Barbaren verhandelte.
Jessardin machte sich Sorgen.
Die Angelegenheit war heikel. Sie verstieß gegen kein Gesetz, doch der venusische Rat würde höchst befremdet sein, falls dem Generalgouverneur bei der Beschäftigung mit innermarsianischen Angelegenheiten etwas zustieß. Nun, dem Vereinigten Rat blieb ohnehin nichts übrig, als das Problem in seiner nächsten Sitzung - morgen - zum Alarmfall erster Ordnung zu erklären. Nicht das war es, was den Präsidenten beunruhigte. Conal Nord war der einzige, der jetzt vielleicht noch etwas ausrichten konnte, aber er, Jessardin, würde sich mit den Folgen einer Entscheidung herumschlagen müssen, die er nicht getroffen hatte und trotz seiner gegenteiligen Versicherung im Grunde nicht billigte.
Der Präsident lehnte sich zurück und ließ den Blick auf der schmalen Gestalt ruhen, die zusammengesunken vor ihm in einem weißen Schalensessel kauerte.
Aino Bar Kalyt - das war der vollständige Name. Man hatte ihm die lange, wallende Robe zurückgegeben, die er als Tempelschüler unter dem Mondstein getragen hatte. Seine Hände waren gefesselt nach Jessardins Meinung eine übertriebene Maßnahme.
Der Junge konnte nicht älter als siebzehn oder achtzehn Jahre sein, fast noch ein Kind. Marsianische Jugendliche waren in diesem Alter noch in Schulen kaserniert, die sie als disziplinierte, pflichtbewußte Zwanzigjährige verließen. Ein lückenloses Test und Prüfungssystem ermittelte im Konsens mit der Bedarfsplanung, welche Tätigkeiten den einzelnen zugeteilt wurden. Erst wenn sie eine fünfjährige Bewährungsstufe durchlaufen hatten, erhielten sie das Bürgerrecht der Vereinigten Planeten, das ihnen erlaubte, ihr Leben im Rahmen der Gesetze selbständig zu führen.
Ein vernünftiges System. Jugendliches Ungestüm war eine natürliche Erscheinung, doch sie mußte eliminiert werden, bevor ein Mensch Verantwortung tragen konnte. Jessardin musterte das blasse, angstverzerrte Gesicht des Akolythen. Auch die Priester des Tempeltals hatten jugendlichen Überschwang zu eliminieren verstanden. Mit barbarischen Foltermethoden, wie aus den Beobachtungsberichten zu entnehmen war.
Die Priester waren geschworene Feinde der Tiefland-Stämme gewesen.
Wieviel Einfluß hatten sie noch? Wem folgten sie jetzt? Welchen Preis würden sie für ihr Leben zu zahlen bereit sein? Das waren die Fragen, die sich Jessardin stellte und um derentwillen er den jungen Akolythen hatte vorführen lassen.
»Wie heißt du?« fragte er ruhig.
Der Junge schluckte. »Aino, Herr.«
»Gut. Erzähle mir, was du über die Tiefland-Stämme weißt, Aino.«
»Über... die Stämme?«
»Ja.«
Der Junge zitterte. Es dauerte eine Weile, bis er tatsächlich zu reden wagte.
»Es sind Ungläubige, Herr. Sie verbrennen ihre Toten im Feuer und beleidigen die Priester. Sie dienen den Schwarzen Göttern nicht.«
»Hast du nicht begriffen, daß es die Schwarzen Götter nicht gibt?«
Schweigen.
Jessardin bedauerte sogleich, daß er diese Frage gestellt hatte. Sie war taktisch unklug. Der Junge starrte ihn nur an. Sein Gesicht wurde noch fahler.
»Du dienst diesen Göttern also immer noch?«
»Ja... Ja, Herr. Sie würden mich sonst strafen.«
»Die Schwarzen Götter?«
»Die Priester. Bar Nergal... « Er schauerte, als er den Namen aussprach.
»Also hat sich Bar Nergal nicht mit Charru von Mornag verbündet?«
»Ich weiß nicht. Bar Nergal schwor einen Eid, aber...«
»Was schwor er?«
»Nicht mehr dafür zu kämpfen, daß die Schwarzen Götter auch über die Stämme herrschen. Aber Nabu Gor sagt, nur
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