Söhne der Erde 04 - Tage Des Verrats
lebendig würden, verstehst du?«
Karstein stieß geräuschvoll die Luft aus.
Sein blonder Bart sträubte sich. Shaara warf mit einer heftigen Bewegung das Haar auf den Rücken. Charru mußte lächeln, aber es war immer noch ein zorniges Lächeln.
»Es ist schwierig zu verstehen«, wiederholte er die Formulierung. »Die Geschichten aus euren Büchern und Filmen waren unsere Wirklichkeit. Euer Spielzeug ist lebendig.«
»Ja, ich sehe es...«
»Gut. Dann begreifst du vielleicht auch, warum wir hier sind. Weil unsere Alten und Kranken sterben und unsere Kinder verhungern. Und weil ihr Hunger nicht nur ein Wort in einem Buch und ihr Tod kein Bild in einem Film ist.«
Wieder wurde es still.
Charrus Gedanken wirbelten. Das Mädchen war unbewaffnet und offensichtlich allein. Es gab keine Bedrohung, und es würde nicht schwer sein, unbehelligt hier herauszukommen. Aber dann würde die Treibjagd wieder beginnen. Die Marsianer würden wissen, daß sie noch am Leben waren, und diesmal würden sie sich nicht wehren können.
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Du... du bist doch nicht Erlend von Mornag, oder?«
»Er war mein Vater. Er hat uns im Dürrekrieg geführt - oder besser unsere Vorfahren. Die meisten von uns waren damals noch nicht geboren.«
»Und du?«
»Charru von Mornag«, sagte er knapp.
»Der Fürst? Ein richtiger König - wie damals auf der Erde?«
»Ich kenne die Erde nicht, und ich weiß nicht, was ihr unter einem König versteht. Oder einem >richtigen< Menschen.« Er preßte die Lippen zusammen. Der Zorn brannte immer noch, und er brannte heftiger, als er es sich erklären konnte. »Wir hatten in all den Jahren keinen Grund, uns nicht als richtige Menschen zu fühlen. Ich bin dazu erzogen worden, das zu sein, was eure Wissenschaftler haben wollten: ein >richtiger< Fürst, der dafür verantwortlich ist, daß sein Volk am Leben bleibt, nicht vernichtet wird und nicht verhungert.Vielleicht nur, weil ihr wolltet, daß eure Filme interessanter werden. Aber jetzt bin ich das, was sich eure Wissenschaftler vorgestellt haben. Und jetzt werde ich dafür sorgen, daß mein Volk nicht verhungert, solange ich es verhindern kann.«
Seine Stimme klang rauh.
Gerinth hatte ihm die Hand auf die Schultern gelegt, und hinter sich konnte er das jähe Schweigen der anderen wie ein körperliches Gewicht fühlen. Die Augen des Mädchens wurden dunkel. Jetzt lag keine Spur von Spott mehr in ihren Zügen. Sie sah von einem zum anderen und grub die Zähne in die Unterlippe.
»Ich heiße Lara. Ich mache hier mein Praktikum als Bio-Chemikerin. - Ihr... ihr lebt also alle noch? Obwohl der Vollzug die Singhai-Klippen zerstört hat?«
»Wir leben noch. Obwohl euer sogenannter Vollzug sich alle Mühe gegeben hat, uns umzubringen.«
»Ihr seid eine Gefahr für den Frieden, ihr...«
Jemand lachte auf, hart und bitter. Kormaks Stimme, erkannte Charru.
»Das ist nicht wahr«, sagte er ruhig. »Wir haben niemandem etwas getan; wir haben uns nur unserer Haut gewehrt und... «
»Ihr habt Männer des Vollzugs getötet, oder nicht?« fragte das Mädchen mit dem Namen Lara.
Charru hob die Schultern.
Es war verrückt, hier zu stehen und zu reden. Jeden Augenblick konnten weitere Marsianer auftauchen, und dann würden sie kämpfen müssen. Er wußte selbst nicht, woher der kalte, schneidende Zorn kam, der ihn zwang, dies alles auszusprechen.
»Ja, das haben wir«, sagte er hart. »Wir waren völlig wehrlos, hatten nichts als unsere Schwerter. Euer Präsident gab uns sein Wort, uns ziehen zu lassen, und er brach es. Der Vollzug fiel mit Strahlenwaffen über uns her - über Männer, Frauen und Kinder. Wir hatten ein einziges Lasergewehr. Jetzt haben wir ein paar mehr, und ihr jagt uns immer noch. Ja, wir haben Vollzugsbeamte getötet. Ich weiß nicht, wie viele. Aber ich weiß, wie viele von uns gestorben sind. Mehr als hundert in eurem Museum, als der Mondstein zusammenbrach. Fast zwanzig später, als der Vollzug uns gejagt hat. Und jetzt werden noch mehr an einer Krankheit sterben. Frauen und Kinder und Alte vor allem... «
»An - an einer Krankheit?« fragte das Mädchen Lara leise.
»Ja. Wir vermuten, daß es mit der Nahrung zusammenhängt - mit diesen Konzentrat-Würfeln, an die wir nicht gewohnt sind und die wir essen müssen, um nicht zu verhungern. Wir sind hier, weil wir hoffen, daß wir mit frischen Nahrungsmitteln vielleicht ein paar retten können. Begreifst du, daß wir uns daran nicht hindern lassen werden?«
Das
Weitere Kostenlose Bücher