Söhne der Erde 10 - Aufbruch Ins Gestern
Schweigend sah Jessardin zu, wie der Gefangene hereingebracht wurde. Seine Arme waren mit breiten Plastikbändern auf den Rücken gefesselt. Eine notwendige .Maßnahme, wie ein Blick in die zornbrennenden grünen Augen verriet.
»Hat man Ihnen gesagt, daß ich möglicherweise einen von Ihnen mit einer Botschaft in euer Versteck schicken möchte?« fragte der Präsident.
»Ja«, sagte Gillon gepreßt.
»Und die Bereitschaft, die Sie dem Vollzugschef gegenüber zeigten, war natürlich nur vorgespielt, nicht wahr?«
Gillon starrte in die kühlen grauen Augen, in das unbewegte Asketengesicht unter dem kurzgeschorenen silbernen Haar. Es war das erste Mal, daß der Terraner dem Präsidenten der Vereinigten Planeten gegenüberstand, und er konnte nichts anderes in ihm sehen als einen Teufel in Menschengestalt.
Seine Stimme klang rauh vor Bitterkeit. »Ihr Vollzugschef war gerade dabei, einen wehrlosen, schwerverletzten Mann umbringen zu lassen. Ihr seid Mörder! Niederträchtige, gemeine Mörder!«
Jessardin bemerkte, wie die beiden Wachen zusammenzuckten. Sie gehörten zu den höheren Offizieren des Vollzugs. Jom Kirrand selbst hatte den Raum schon wieder verlassen, um die Vernehmung der übrigen Gefangenen vorzubereiten.
»Ich möchte mich hier nicht mit Ihnen über moralische Kategorien streiten«, sagte der Präsident kühl. »Befinden sich Lara Nord und Helder Kerr bei Ihren Freunden?«
Gillon schwieg. Jessardin schüttelte leicht den Kopf.
»Ich werde es so oder so erfahren«, sagte er. »Mir geht es darum, Kontakt zu Charru von Mornag aufzunehmen, um ihm eine letzte Gelegenheit anzubieten, sich mit seinen Leuten freiwillig zu ergeben. Damit würde er gleichzeitig das Leben seines Bruders und der anderen Gefangenen retten. Also?«
Gillon biß die Zähne zusammen.
Er brauchte nicht zu überlegen. Sie hatten schon oft genug vor dieser Frage gestanden. Sie würden sich nicht ergeben, um als hirnlose Marionetten in einem Reservat zu vegetieren, wie es Hunons Volk tun mußte. Wenn er, Gillon, jetzt nachgab, hieß das nur, daß er die anderen dem Untergang auslieferte. Langsam schüttelte er den Kopf.
»Sind Sie sich klar darüber, daß Sie sich damit selbst zum Tode verurteilen? Sich und die neun restlichen Gefangenen?«
Gillons Blick ging durch alles hindurch.
Aber die anderen, dachte er, würden es vielleicht schaffen, die »Terra« zu erobern. Er, Gillon, hätte sich lieber in sein eigenes Schwert gestürzt als zuzulassen, daß die Marsianer mit seinem Leben schacherten. Er dachte an Jarlon, der fast noch ein Kind war, an Erein, Karstein, den verletzten Konan, all die anderen. Jeder von ihnen würde Simon Jessardin die gleiche Antwort geben, wenn er gefragt wurde.
»Waren Sie nicht eben noch sehr daran interessiert, Ihren Freund zu retten?« fragte der Präsident gedehnt.
»Da wußte ich nicht, worum es ging. Und würden Sie nicht versuchen, einem Mörder in den Arm zu fallen?« Gillon warf das rote Haar zurück und preßte die Lippen zusammen. »Nein, Sie nicht«, sagte er bitter.
»Es wäre ein sinnloses Opfer. Was wir wissen wollen, erfahren wir so oder so, da wir sehr wirksame Wahrheitsdrogen einsetzen können. Benötigen Sie Zeit, um es sich zu überlegen?«
Gillon zögerte.
Er brauchte keine Zeit. Aber es würde Zeit sein, die seinen Gefährten zugute kam. Helder Kerr kannte die Drogen der Marsianer. Er würde wissen, ob man damit wirklich einen Menschen zwingen konnte, die Wahrheit zu sagen, ob sie den Sirius-Krater verlassen mußten.
Gillon bezwang den kalten Zorn, der sich dagegen aufbäumte, auch nur um eine Winzigkeit nachzugeben. Er senkte die Augen.
»Ich möchte darüber nachdenken«, sagte er leise.
IX.
Sie erreichten Kadnos noch vor Tagesanbruch.
Ein einzelner Jet, der tief über der Wüste dahinglitt und Felsen und Bodenwellen als Deckung benutzte. Sie hatten das Fahrzeug genommen, das Helder Kerr gehörte und die Embleme des Raumhafens an den Seitenflächen trug. Charru lenkte es. Er war vertrauter mit der Wüste als der Marsianer, außerdem entsprach die Rollenverteilung dem Plan, den sie so genau wie möglich festgelegt hatten.
Aus der Richtung des Raumhafens näherten sie sich der schimmernden, schwerelosen Konstruktion der Urania-Brücke.
Charrus Augen glitten über die Kuppeln und Türme der Stadt. Er fühlte sich beengt in dem ungewohnten marsianischen Anzug, aber das erging Helder Kerr in den Kniehosen und der ledernen Tunika sicher nicht anders. Charta hatte lediglich
Weitere Kostenlose Bücher