Söhne der Erde 11 - Die Katakomben von Luna
wenn er an die Begründung dachte, mit der er und seine Freunde damals »begnadigt« worden waren. Die Tatkraft und Energie der Merkur-Siedler sollten nicht in der Liquidations-Zentrale verschleudert, sondern der Allgemeinheit nutzbar gemacht werden. Als ob nicht ohnehin jede Hinrichtung auf dem Wege über die Organbank zu einem unbestreitbaren Nutzen für die Allgemeinheit führte! Simon Jessardin war zu feige gewesen, den Bruder des Generalgouverneurs der Venus zu liquidieren. Statt dessen ließ er Männer, die zur Elite der Vereinigten Planeten gehört und auf dem Merkur wahre Wunder vollbracht hatten, für den Rest ihres Lebens in einem Gestalt gewordenen Anachronismus schuften und Arbeiten verrichten, die ansonsten seit mindestens einem Jahrtausend nur noch von Robotern getan wurden.
Der Hebel knackte metallisch, weil ihn Mark mit der ganzen Kraft seines Hasses bewegt hatte.
Ein kaum hörbarer Pfiff riß ihn aus seinen düsteren Gedanken. Flüchtig sah er zu der stählernen Galerie hinauf, wo die Wachmänner in ihren schwarzen Uniformen patrouillierten. Wachmänner, die sich sicher fühlten, die nicht ahnten, daß unter ihren Augen seit Jahren zäh und geduldig eine Rebellion vorbereitet wurde. Der Staat hatte einen Fehler gemacht, als er Männer wie die Merkur-Siedler hierher verbannte, die ihren Bewachern in Ausbildung und Intelligenz haushoch überlegen waren.
Mark lächelte hart, als er einen halben Schritt zur Seite glitt und den Hebel mit der Linken bediente.
Seine Rechte tauchte in den nächsten Förder-Container, der heranschwebte. Zwei Sekunden hatte er Zeit, um die flache, metallisch glitzernde Spule zwischen dem zerkleinerten Gestein zu erwischen. Triumph durchzuckte ihn, als sich seine Finger darum schlossen. Blitzartig ließ er die Spule unter den Arbeits-Overall gleiten und packte den verhaßten Hebel wieder mit der Rechten.
Zehn Minuten später begann er, einen psychischen Zusammenbruch zu spielen.
Er hatte die Symptome des sogenannten »Psycho-Katers« schon am eigenen Leibe gespürt, deshalb fiel es ihm nicht schwer, sie zu simulieren. Einer der Wachmänner, die von der Galerie herunterkamen, trat ihm grob zwischen die Rippen. Auch die Vollzugsbeamten, die hier Dienst taten, waren in achtzig Prozent der Fälle strafversetzt. Das führte zu Aggressionen, aber ganz gegen sonstige Gepflogenheiten hatte sich der Staat bisher nicht genötigt gesehen, etwas dagegen zu unternehmen.
Warum auch! Luna lag weitab in einem vergessenen Sektor des Systems. Und wenn die Vollzugsmänner nach ihrer Strafzeit zurückkamen, waren sie nicht mehr aggressiv, sondern im Gegenteil höchst fügsam.
Mark Nord wurde in den Zellentrakt zurückgeschleppt und vermied auf diese Weise die üblichen Kontrollen.
Er besaß genug Erfahrung, um nicht über die Grenze hinauszugehen, die ihm eine Psycho-Droge zur Ruhigstellung eingebracht hätte. Auf Luna war selbst die Medizin nichts anderes als nackter Terror. Ein gewaltloser Terror, getreu den Prinzipien der Vereinigten Planeten. Die chemische Folter spielte sich im Gehirn ab und war nur Illusion - auch wenn das für den Betroffenen wenig Unterschied machte. Mark blieb reglos liegen, bis die Schritte der Wachmänner verklangen.
Danach begann er zu stöhnen, um die akustische Überwachung zu täuschen. Dabei kauerte er bereits in einem Winkel der Zelle und berührte einen Kontakt. Von jetzt an übernahm ein Tonband das Gejammer. Die Merkur-Siedler hatten Jahre gebraucht, um diese Tonbänder zu bauen und zu installieren. Die Wachen ahnten nicht einmal, daß es möglich war, sich irgendwo auf Luna die benötigten Materialien zu verschaffen. Mark Nord und seine Freunde hatten im Laufe der Zeit noch viel mehr fertiggebracht. Sie waren damals nicht umsonst für das Projekt ausgewählt worden, einen gefährlichen, lebensfeindlichen Planeten zu besiedeln. Jeder von ihnen galt als hervorragender Spezialist auf seinem Gebiet. Allen gemeinsam war ein geniales Improvisationstalent, die Fähigkeit, ungewöhnlichen Situationen mit ungewöhnlichen Mitteln zu begegnen - und diese Gabe prädestinierte sie nicht nur für Pionier-Projekte, sondern war wie geschaffen zum Aufbau einer Rebellen-Organisation.
Mark spürte einen Anflug grimmiger Genugtuung, während er die kleine Spule in das Wiedergabe-Gerät schob und den Kopfhörer aufsetzte.
Der Verwaltungsdiener Ragart hatte die Spule besprochen - das war sicherer für ihn als ein heimliches Treffen. Angst zitterte in seiner Stimme, er
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