Söhne der Erde 12 - Inferno Erde
wesentliche Einzelheiten blieben unklar. Carriser wußte weder von dem toten, nach einem Zusammenbruch des Stollens dahinter nicht wieder verschlossenen Luftschacht, noch von den getarnten Schlupflöchern, die von Rebellen im Laufe der Jahre angelegt worden waren. Daß einer der Merkur-Siedler sein Leben für die Chance geopfert hatte, mit der »Terra I« Funkkontakt aufzunehmen, war bekannt. Auf welchem Weg die Barbaren aus dem alten Schiff in die Kommandantur von Lunaport eingedrungen waren, konnte sich Marius Carrisser allerdings immer noch nicht erklären.
»Ich bin mir bewußt, daß ich versagt habe, mein Präsident. Selbstverständlich werde ich die volle Verantwortung für die Ereignisse übernehmen.«
Phrasen, dachte Simon Jessardin, der hinter dem weißen Schreibtisch in seinem Büro lehnte.
Wahrscheinlich hatte Carrisser überhaupt nicht versagt. Nicht mehr jedenfalls, als er, Jessardin, bei der Bewältigung der Krise auf dem Mars versagt hatte. Der Präsident blickte auf das silberne Lautsprechergitter. Er wußte, daß der Rat Carrissers Kopf fordern würde. Was hieß, daß der Mann, da sein Intelligenz-Quotient nun einmal eine wissenschaftlich exakte Größe war, als psychisch instabil eingestuft und einem Kontrollsystem eingegliedert werden würde, das ihm für den Rest seines Lebens jeden Schritt vorschrieb.
Aber vielleicht konnte man Carrisser noch einmal gebrauchen.
Jessardin hatte sein Psychogramm im Kopf: ein militärisch glänzend begabter Uranier, mehr Praktiker als Wissenschaftler, mit einer gewissen Neigung zu Ungeduld und Intoleranz, die seine Karriere bei dem ungeliebten Kommando auf Luna hatte enden lassen. War er zur Wut, zum Haß fähig? Oder zumindest zu einem militärischen Revanche-Denken? Jessardin neigte zu der Ansicht, daß ein wütender Mann mit dem Problem der geflohenen Barbaren vielleicht besser fertigwerden konnte als ein kühl rechnender Wissenschaftler. Und das Problem bestand nach wie vor.
»Wissen Sie, was Charru von Mornag plant, Carrisser?« fragte er.
»Dieser Barbaren-Häuptling? Ich glaube, er will zur Erde.«
»Und die Merkur-Siedler?«
»Ebenfalls zur Erde, nehme ich an.«
Wahrscheinlich, dachte Jessardin.
Zwanzig Jahre sollten ausgereicht haben, um selbst einem unbeugsamen Fanatiker wie Conal Nords Bruder klarzumachen, daß sich der Merkur nicht für menschliches Leben eignete. Oder?
»Werden Sie eine Einheit der marsianischen Kriegsflotte nach Luna schicken, mein Präsident?« fragte Marius Carrisser nach einem langen, unbehaglichen Schweigen.
Simon Jessardin fixierte einen Punkt an der Leuchtwand.
Er spürte, wie begierig der andere auf die Antwort wartete. Die Entsendung der Flotte war die logische Antwort auf die Ereignisse. Sie ließen sich auf die Dauer nicht verheimlichen. Es würde Unruhe in der Bevölkerung geben, der man nur begegnen konnte, indem man das Problem ein für allemal löste.
Aber der Tod von Conal Nords Tochter konnte einen offenen Bruch zwischen Mars und Venus herbeiführen.
Jessardin wußte, daß es dem Generalgouverneur nicht allein um seine Tochter ging, aber er nahm an, daß in dem Konflikt, in dem sich Nord befand, das Pflichtgefühl siegen würde, sobald Lara außer Gefahr war. Die Einheit der Föderation genoß in jedem Fall Priorität. Eine fadendünne Gedankenverbindung bildete sich in Simon Jessardins Hirn. Die Andeutung einer Idee. Er atmete tief durch.
»Wir werden zunächst einmal abwarten, Carrisser«, sagte er ruhig. »Im übrigen möchte ich Sie zum persönlichen Bericht sehen, sobald Sie auf Kadnos-Port gelandet sind.«
*
Flüchtig durchzuckte Charru der Gedanke an all die Waffen, die sie auf Luna zurückgelassen hatten.
Unbewußt schüttelte er den Kopf. Sie hätten sie nicht benutzt. Selbst gegen die Übermacht der goldenen Gestalten würde das eine Lasergewehr genügen, um furchtbare Verheerungen anzurichten. Und Kormak, der ebenfalls an dem Tor lehnte, dachte überhaupt nicht daran, die Waffe von der Schulter zu nehmen.
Charrus Blick löste sich von dem zitternden Metallstab, der neben ihm in dem altersdunklen Holz steckte.
Er hob beide Hände - jene alte Geste des Friedens, die nur in der Welt der Vereinigten Planeten nicht mehr verstanden wurde. Die Fremden verstanden sie. Reglos blieben sie stehen. Charru konnte sehen, daß sich ihre Finger wie Schlangen um die dünnen Metallstäbe ringelten.
Langsam, in offensichtlich demonstrativer Absicht traten drei von den Goldenen aus dem Kreis und legten
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