Söhne der Erde 16 - Der Riß In Der Welt
Schauer der Angst durch seinen zerschundenen Körper. Irgendwo waren die Priester dabei, ihr widerliches Ritual vorzubereiten. Ein Ritual, das sich Che nur ungenau vorstellen konnte und das immer wieder von neuem Panik in ihm weckte.
Die Fesseln würden nachgeben, wenn er sich lange genug bemühte.
Und was dann?
Es gab keinen Platz, zu dem er fliehen konnte. In den Ruinen würden ihn die Ratten aufspüren, selbst wenn er sich noch so gut verbarg. Auch in dem zerstörten Dorf der Fischer, das er vielleicht erreichen konnte, war er nicht sicher. Das Meer auf der einen und die Wüste auf der anderen Seite bildeten unüberwindliche Hindernisse, ließen sich allenfalls mit einem Flugzeug bezwingen ...
Die Flugzeuge!
Che hatte sich geschworen, nie wieder eine der Maschinen zu besteigen, doch jetzt waren sie seine einzige Chance. Er wollte leben. Allein, wenn es sein mußte. An einem Platz, wo ihn die angeblichen Götter mit ihren grausamen, sinnlosen Gesetzen nicht erreichen konnten.
Neue Hoffnung erwachte in ihm.
Heftiger als zuvor rieb er die Fesseln über den rauhen Stein. Draußen mußte es jetzt völlig dunkel sein. Ches scharfe Katzenaugen durchdrangen mühelos die Finsternis des Verlieses, in das man ihn gesperrt hatte. Sein Blick tastete die Balkentür ab, die losen Mauersteine, den Schutt, der sicher nicht schwer beiseite zu räumen war. Unermüdlich bewegte er die gefesselten Hände, und als er den Ruck spürte, mit dem einer der Stricke riß, kam ein triumphierender Laut über seine Lippen.
Sekundenlang blieb er reglos am Boden kauern, saugte mechanisch an seinen aufgeschürften Gelenken und wartete, bis sich sein rasender Herzschlag beruhigte.
Ein paar Minuten brauchte er noch, um auch die Fußfesseln aufzuknüpfen, dann richtete er sich vorsichtig auf. Nichts war zu hören außer dem gelegentlichen Plätschern von Wassertropfen in den feuchten Kellern. Mit zusammengebissenen Zähnen machte sich Che daran, den Schutt in der Nähe der Tür wegzuräumen, lose Steine aus dem Mauerwerk zu brechen, die Ränder der zusammengenagelten Balken abzutasten. Er hatte Glück. Nach einer halben Stunde angestrengter Arbeit konnte er durch einen gut handbreiten Spalt den Riegel sehen, und tatsächlich schaffte er es, ihn millimeterweise zur Seite zu schieben.
Seine Fingernägel bluteten, Schweiß lief in Strömen über seinen Körper, aber die Tür gab nach.
Stinkende Pfützen schillerten draußen auf dem Gang. Niemand hielt Wache, doch das hatte Che ohnehin nicht erwartet. Die Priester glaubten, daß er zu schwach sei, um sich auch nur zu rühren. Und nach den Begriffen seines eigenen Volkes war es unmöglich, die Ruinenstadt zu verlassen. Nicht einmal seine Brüder würden auf den Gedanken kommen, daß er es mit einem der Flugzeuge versuchen könnte.
Einen Augenblick zögerte er, bevor er auf die nächste Treppe zuhuschte.
Haß brannte in ihm. Der Wunsch, seinen Todfeind doch noch zu vernichten. Aber jetzt war die Furcht stärker. Ein zweites Mal würde es bestimmt kein Entkommen für ihn geben. Wenn sie ihn diesmal wieder einfingen, wartete das schreckliche Ritual auf ihn, an das er nicht ohne einen eisigen Schauer denken konnte.
Rasch huschte er die Stufen hinauf und lauschte angespannt, bevor er durch ein klaffendes Loch auf das Trümmerfeld hinausglitt.
Nichts rührte sich in der Nähe. Nur der Wind strich durch die Ruinen. Che wußte, daß Bar Nergal verlangt hatte, einen Opferstein herbeizuschaffen, einen großen schwarzen Stein, wie man ihn bisweilen am Meer fand. Die Katzenfrauen waren auf der Suche danach, Ratten mußten ihn auf einem Karren durch die Trümmerwüste zerren - sicher würde es noch geraume Zeit dauern.
Che schüttelte sich. Geduckt schlich er durch das Gewirr von Ruinen und Mauerresten, und nach wenigen Minuten erreichte er den Rand des Raumhafens.
Still und träge wie schlafende Riesenvögel reihten sich die Flugzeuge auf der Startbahn.
Diesmal stand das Tor des Lagerhauses weit offen, und eine breite Lichtbahn fiel nach draußen. Che biß sich auf die Unterlippe. Er konnte seine Mutter sehen, zwei von seinen Brüdern, die hoch aufgerichtete Gestalt Bar Nergals. Im nächsten Moment machte der Oberpriester eine befehlende Geste, und ein halbes Dutzend fellbedeckter Kriegerinnen entfernte sich eilig von dem Gebäude. Che zog sich wieder ein Stück in den Schatten zurück und lauschte den huschenden Schritten, die sich rasch entfernten.
Wollten sie ihn holen?
Gleichgültig! Wenn er
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