Söhne der Erde 17 - Gefangene Der Zeit
Amtskette. Conal Nord wirkte abgespannt. Die Ereignisse der letzten Monate hatten ein paar scharfe Linien um seine Augen gekerbt.
»Sie waren auf dem Merkur, Conal«, stellte der Präsident fest. »Später als Kommandant Carrisser, der dort in meinem Auftrag Verhandlungen führte. Hat sich an der Haltung Ihres Bruders irgend etwas geändert?«
Nord straffte sich und schüttelte den Kopf. »Nein, Simon. Ich weiß, was Sie Mark angeboten haben. Ich hätte mir gewünscht, er würde es akzeptieren, aber das kann er nicht.«
»Warum nicht?« Jessardin beugte sich vor, und seine Stimme wurde scharf. »Warum, um alles in der Welt, kann er die Bedingungen, die damals bei dem Besiedlungsprojekt selbstverständlich für ihn waren, heute nicht mehr akzeptieren? Die zwanzig Jahre Luna? Verbitterung? Haß? Carrisser konnte es nur sehr unzureichend erklären.«
»Vermutlich hat er es nicht verstanden, weil es in seinem Weltbild einfach nicht existiert. Kein Haß, Simon. Nicht einmal so sehr die zwanzig Jahre Luna.«
»Sondern?«
»Die Erfahrung von damals. Die Erfahrung, daß der Staat die Leistung von Menschen, die auf dem Merkur wahre Wunder vollbracht hatten, einfach mit einem Federstrich abtat. Eine Erfahrung, die in anderer Form auch meine Tochter machte - mit einem Staat, der seit Jahrhunderten eine Gruppe menschlicher Wesen als Versuchskaninchen benutzte.« Der Venusier stockte, weil er die Fassung zu verlieren drohte. »Was werden Sie tun, Simon?« fragte er nach einem tiefen Atemzug.
»Nichts«, sagte der Präsident. »Ich bin mir klar darüber, daß ich das Problem nicht gegen den Widerstand der Venus lösen kann, Also habe ich die Entscheidung aufgeschoben und den Rat davon überzeugt, daß die Merkur-Siedler vorerst auf ihrem Planeten gut aufgehoben sind.«
»Vorerst?«
»Solange sich keine neue Situation ergibt. Solange sich Mark ruhig verhält und vor allem nicht versucht, mit der Luna-Fähre die Erde zu besuchen, Ich weiß, daß er das vorhat. Was er auf dem Merkur schaffen will, kann er nicht mit einer reinen Männer-Gesellschaft erreichen, und die Erde ist seine einzige Chance. Ich hoffe, er wird es nicht versuchen, Conal. Ich könnte es nicht hinnehmen. Und ich würde es erfahren, weil
ich Marius Carrisser zur Erde geschickt habe, um dort die Lage wirksamer als bisher unter unsere Kontrolle zu bringen.«
Sekundenlang blieb es still.
Conal Nord wußte, daß sich sein Bruder nicht aufhalten lassen würde. Die Entscheidung war tatsächlich nur verschoben. Jessardin wollte noch etwas sagen, doch im gleichen Moment summte der Kommunikator, der ihn mit seinem Büro verband.
Das Gesicht eines Verwaltungsdieners erschien auf dem Monitor. »Bitte entschuldigen Sie die Störung, mein Präsident. Ein Laserfunkspruch, dringend.«
»Überspielen Sie die Aufzeichnung in mein Arbeitszimmer«, sagte Jessardin nach kurzem Zögern. Und in Nords Richtung: »Ich darf Sie einen Moment alleine lassen ...«
Der Venusier nickte.
Mit ausdruckslosem Gesicht nippte er an seinem Weinglas. Ein geheimer Funkspruch ... Konnte er von der Erde kommen, wo Carrisser mit dem dehnbaren Auftrag unterwegs war, »die Lage unter Kontrolle zu bringen«? Conal Nord hatte von Anfang an den Verdacht gehegt, daß sich bei Carrissers erstem Besuch auf der Erde die Dinge anders abgespielt hatten, als die offizielle Version besagte. Der Venusier bezweifelte, daß es den Priestern allein und ohne Hilfe gelungen war, die »Terra« zu zerstören. Waffen aus der irdischen Vergangenheit ... Eine perfekte Erklärung, die es dem Präsidenten ermöglichte, die Priester zu Sündenböcken zu stempeln und die eigenen Hände in Unschuld zu waschen.
Conal Nord preßte die Lippen zusammen.
Wenn es so gewesen war, ließ es sich jedenfalls nicht beweisen, das wußte er, Carrisser würde schweigen. Die anderen hatte man nur einer Amnesie-Behandlung zu unterziehen brauchen und ...
Nords Gedanken stockten.
Simon Jessardin hatte das Zimmer wieder betreten. Sein Gesicht war starr, und der Venusier las in den grauen Augen, daß etwas geschehen war.
»Die Barbaren, Conal! Sie leben! Jemand muß sie vor den Plänen der Priester gewarnt haben. Sie konnten die »Terra« heimlich verlassen, bevor sie zerstört wurde.«
Conal Nord hielt den Atem an.
Lara, dachte er.
Seine Tochter lebte. Charru von Mornag lebte, genau wie all die anderen. Einen Augenblick fühlte der Venusier die ungläubige Erleichterung wie einen Schwindel, der die Umgebung verschwimmen
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