Söhne der Erde 22 - Flug der Verlorenen
und Marit. Die beiden kleinen Tarether, Celi, Ciaril... Mit einem tiefen Atemzug strich sich Camelo das staub- und schweißverklebte Haar aus der Stirn und straffte die Schultern.
»Ich gehe hinaus«, sagte er entschlossen. »Ich werde verlangen, mit Charru zu sprechen. Und wenn sie ihn nicht unter Drogen gesetzt haben, gibt es keinen Grund für sie, das abzulehnen.«
II.
Charrus Augen hingen unverwandt an dem Hang, wo drei, vier von den aufgerissenen Höhleneingängen klafften.
Mark stand ein paar Schritte entfernt neben dem Geräteschlitten mit dem Lautsprecher. Das Echo seiner Stimme schien noch in der Luft nachzuzittern. Alles blieb still bis auf ein gelegentliches Knacken und Knirschen: Geräusche, die verrieten, daß die Felsen immer noch arbeiteten, daß die Gefahr noch nicht vorbei war.
Auch General Kane und zwei Offiziere hatten das Schiff verlassen.
Die Marsianer in ihren schwarzen Uniformen - Spezialuniformen mit Thermo-Ausrüstung, wie Charru inzwischen wußte - warteten mit schußbereiten Lasergewehren. Drei von ihnen bewachten Dane Farr, dessen Wunde provisorisch versorgt worden war. Derek hatte sich heftig dagegen gesträubt, in das Schiff gebracht zu werden, hatte sich so lange an Farr festgeklammert, bis einer der Offiziere Anweisung gab, den Jungen in Ruhe zu lassen.
Minuten verstrichen.
Einmal fuhr Charru leicht zusammen, weil er eine Bewegung zu sehen glaubte, doch der Wind hatte nur eine Staubwolke aufgewirbelt. Schließlich war es der fahle Widerschein einer Handlampe, der als erstes aus dem schwarzen Höhleneingang drang. Eine Gestalt turnte über Steintrümmer und herabgestürzte Felsbrocken. Charru schloß die Augen und öffnete sie wieder. Die Angst um seine anderen Gefährten ließ ihn nicht los, aber für ein paar Sekunden überwältigte ihn Erleichterung, als er die klaren, harmonischen Züge seines Blutsbruders erkannte.
Camelo ging ein paar Schritte, blieb dann stehen und hob die Lampe an.
Charru sah zu Manes Kane hinüber. Der General kniff die Augen zusammen.
»Was soll das?« fragte er scharf.
»Er will mit mir sprechen.«
»Und warum?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht glaubt er, daß Sie die Lautsprecherdurchsage erzwungen haben. Oder daß wir unter Drogen stehen.«
Kane zögerte einen Moment und furchte die Stirn.
»Gut«, sagte er schließlich. »Sie können bis zu dem Felsen dort drüben gehen. Aber keinen Schritt weiter.«
Charru wußte, daß ein halbes Dutzend Lasergewehre auf seinen Rücken zielte, als er sich in Bewegung setzte.
Neben dem Felsen war er immer noch im Schußfeld der Waffen. Camelo kam rasch näher: erschöpft, verdreckt, aus zahllosen Kratzern blutend, aber offenbar nicht schwer verletzt. Ihre Blicke trafen sich. Blicke, die beide die gleichen brennenden Fragen spiegelten.
»Mark und ich sind mit Derek und Dane Farr herausgekommen«, sagte Charru heiser.
Camelo nickte. »Karstein ist da drüben, Yattur und Tanit... «
Rasch zählte er auf, wer in der Grotte wartete oder unterwegs war, um nach Überlebenden zu suchen. Charru atmete auf, als der Name seines Bruders fiel. Jarlon lebte. Genau wie der kleine Robin, für den das alles ein unvorstellbarer Alptraum gewesen sein mußte.
»Und Gerinth?« fragte Charru. »Erein? Katalin?«
Camelo schwieg.
Seine Schultern zitterten wie unter einem Krampf - als stürze das ganze Ausmaß der Katastrophe von neuem auf ihn ein. Hilflos fuhr er sich mit der Hand über die Augen.
»Wir werden herauskommen«, sagte er tonlos. »Karstein fürchtete, die Marsianer hätten euch unter Drogen gesetzt - deshalb bin ich hier. « Er biß die Zähne zusammen, und sekundenlang ging sein Blick durch alles hindurch. »Ich würde lieber im Kampf sterben... «
Ruckartig wandte er sich ab und strebte wieder der Höhle zu.
Sein Blutsbruder sah ihm nach. Auch er, Charru, wäre lieber im Kampf gestorben, statt sich den Marsianern auszuliefern. Zum erstenmal, seit er dort oben auf halber Höhe des Hangs ins Freie getreten war, dachte er an das Schicksal, das ihnen bevorstehen mochte. Eine Strafkolonie wie auf Luna... Oder die kalte, grausame Mechanik der marsianischen Liquidations-Zentrale... .
Abrupt schwang er herum.
Die Uniformierten, die mit den Lasergewehren auf ihn zielten, entspannten sich wieder. General Kane hob fragend die Brauen.
»Sie kommen heraus«, sagte Charru knapp.
Dabei fing er einen Blick von Mark Nord auf. Das Gesicht des blonden Venusiers war blaß unter Schmutz und Sonnenbräune. Auch in seinen
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