Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
voluminösen Haube in ihr erstauntes Gesicht tropfte. Noch hatte das Blut keine Fliegen angelockt. Es war überall, feucht und im Zwielicht des anbrechenden Tages nahezu schwarz. In Pfützen sammelte es sich auf dem Tisch und zu Füßen der Toten. Es klebte am Kamin und sprenkelte das Bildnis einer jungen Frau, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der alten Dame hatte. Cassian bedeckte mit dem Unterarm seine Nase, um dem Gestank beizukommen. Paris brodelte in der Augusthitze und die Verwesung setzte binnen Stunden ein. Die Familie, die sich um einen Speisetisch versammelt hatte, war nicht mehr dazu gekommen, ihr gemeinsames Abendessen zu beenden.
»Könnte es der Namenlose sein, dessen Brut du zerstört hast? Dieses Haus liegt auf direkter Strecke zwischen Versailles und Paris«, fragte Ruben.
»Falls dem so ist, haben die Vampire Europas ihren Großmeister verloren. Ich war in seinem Haus. Es ist in der Nähe.«
Juvenal zuckte zusammen. »Du bist bei Mica eingedrungen, wegen dieser …?«
Ohne seinen Satz zu beenden, schloss Juvenal den Mund. Die Erwähnung des Mädchens führte bei Cassian derzeit zu offener Aggression.
»Du wolltest unbedingt noch einen Monat warten«, sagte Cassian zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Sie lauern nicht mehr in den dunklen Ecken der Armenviertel auf Beute, sondern dringen in ihre Häuser vor und holen sie sich. Sieben in einer Nacht, eine Bürgerfamilie dazu. Das wird nicht unbemerkt bleiben. Rechne das auf vier Wochen hoch, und die Menschen werden nicht mehr lange an einen Schlachter glauben.«
»Sie jagen nicht jede Nacht«, sagte Ruben. »Wir sollten gehen. Der Gestank bringt mich um. Hier können wir ohnehin nichts mehr ausrichten.«
Sie zogen sich in den Gang zurück. Vor einem offenen Fenster an seinem Ende hingen schlaffe Vorhänge herab. Kein Luftzug verschaffte der frühen Morgenstunde die dringend nötige Abkühlung.
»Sie einzeln aufzustöbern war deine Idee, Juvenal. Wie du siehst, sind wir zu spät gekommen. Es ist schwer, ihnen zu folgen. Ihre Fährte hält sich nicht lange.«
»Wir mussten auf Gilian warten. Einen Monat, mehr habe ich nicht verlangt.«
»Gilian wird nicht kommen. Wann begreifst du das endlich?«
Cassians Antwort kam leise und schneidend. Die Ränder unter seinen Augen verrieten seinen Schlafmangel. Die Vollmondnächte hingen ihnen allen in den Knochen, doch die Erschöpfung machte ihn nicht weniger reizbar. Er war auf Konfrontation aus.
»Wenn er nicht kommt, ist ihm etwas zugestoßen. Anders kann ich es mir nicht erklären.«
Juvenals Augen wurden nahezu schwarz und die Stimme drohte ihm zu versagen. Die Kerben um seine Mundwinkel hoben sich weiß von seiner Haut ab.
»Gottes Knochen, Juvenal. Du bangst um Gilian wie ein altes Weib. Unterdessen richten die Namenlosen in meinem Revier wahre Massaker an. In dieser Verfassung nützt du uns absolut nichts.«
»Du bist jung und ungestüm, Junge. Du weißt nicht, was es heißt, seine Kinder zu verlieren. Ich bin euer Vater, verdammt!«
»Der Vater von Kriegern, die im Gegensatz zu dir …«
Ein Scharren aus dem Erdgeschoss unterbrach die leise geführte Auseinandersetzung. Etwas schleifte über den Boden, dem Geräusch nach ein schlaffer, weicher Gegenstand. Der Dunst der Leichen hatte ihre Nasen verstopft. Selbst jetzt konnten sie nichts wittern, sondern nur von einem Schmatzen darauf schließen, dass der Namenlose noch immer im Haus war. Es brauchte keine Absprache. Schnell und leise legten sie ihre Kleidung ab. Drei Wölfe näherten sich der steinernen Brüstung und blickten durch ihre Ornamente nach unten. Die Gefräßigkeit des Namenlosen hatte ihn zu einem weiteren Opfer geführt. Die groben Pantinen, die noch immer an den Füßen steckten, gehörten einer Magd. Ohne zu fackeln, sprang Cassian auf die schmale Brüstung und von dort aus in die Tiefe. Seine Läufe waren gespreizt, sein Sturz endete auf dem breiten Rücken des Namenlosen. Ehe dieser wusste, was auf ihm gelandet war, verbiss Cassian sich in den Nacken seines Gegners.
Das Untier ließ von seiner Mahlzeit ab und sah sich zwei weiteren Wölfen gegenüber. Ein gellender Schrei dröhnte durch das Haus, und der Namenlose gelangte auf die Hinterbeine. Mit seinen mächtigen Pranken schlug er nach den Wölfen, die ihn umkreisten, und versuchte gleichzeitig Cassian auf seinem Rücken abzuschütteln. Sein Schrei schrillte in den empfindsamen Wolfsohren und brachte die Fensterscheiben zum Klirren.
Die Zähne im Genick des
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