Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
Kokon. So fein gesponnen, und doch undurchlässig und massiv wie Felsgestein. Einzig das Licht der Fackeln an den Wänden schimmerte hindurch.
„Du schläfst nicht. Weshalb antwortest du mir nicht?“
„Du schadest dir mit jedem Wort. Jeder Atemzug lässt dieses Gefängnis schrumpfen.“
„Na und?“, keuchte Saphira hervor. „Der Kokon schrumpft so oder so. Wir müssen atmen. Wir sind bereits so gut wie tot.“
Eine Lamia musste nur selten atmen. Berenike wollte der Angst keinen Raum geben. Sie würde durchhalten. Ihre Antwort vergeudete keinen Atemzug.
„Sie werden uns finden.“
„Nicht einmal mein Gefähr… mein Gemahl wird uns finden. Er ist … er besitzt Spürhunde, die jeder Fährte folgen können. Wäre es ihm möglich, er hätte mich längst befreit. Du hegst falsche Hoffnungen.“
Und du baust nur auf deinen Gefährten Tizzio di Mannero. Berenike sprach ihren Gedanken nicht aus. Saphira wollte verheimlichen, wohin sie gehörte. In jeder anderen Situation hätte sie darüber gelacht. In diesem ganz speziellen Fall brachte ihr der Vorteil an Wissen nichts ein. Sie verhehlte ihre eigene Identität, aber was nutzte es ihr?
„Sie werden uns finden“, beharrte sie und sprach nicht von einem Werwolf und seinem Rudel.
Sie, das waren die älteste Lamia des alten Volkes und der Großmeister der Vampire. Mit jeder verstreichenden Nacht kamen sie näher. Irgendwann musste ihre Suche sie hierher führen. Sie würden die Larvae in Fetzen reißen, bis nichts mehr von ihnen blieb. Bis dahin musste sie durchhalten.
„Wie viel Zeit mag vergangen sein?“
Prompt griff Saphira ihre Frage auf. „Zeit bedeutet nichts. Wir sind im Reich der Toten. Es gibt für uns keinen Weg zurück.“
Berenike rollte mit den Augen. Ihre Leidensgenossin hatte eine Vorliebe für dramatische Antworten.
„Wir sind im Carcer Tullianum. Über uns ist eine Kirche der Christen.“
„Weshalb verspüren wir dann keinen Hunger, keinen Durst und keine Müdigkeit? Was du siehst, ist ein winziger Teil der Welt, in der wir nicht mehr sind. Mehr ist es nicht. Sieh dich um.“
Von der Welt, in der sie angeblich nicht mehr waren, trennte sie eine dünne Schicht aus Weiß. Darin eingeschlossen war es einleuchtend, dass eine Rudelwölfin durchdrehte. Für ihren Mangel an Bedürfnissen gab es eine Erklärung. In bedrohlichen Situationen richtete sich eine Lamia darauf aus, freizukommen und dachte weder an Durst noch an Hunger oder Schlaf. Sie machte einen langen Atemzug. Der Kokon schien sich minimal auf sie zuzubewegen. Beklemmung ließ ihre Fänge pochen und drückte gegen ihre Augäpfel. Wenn das so weiterging, würde sie die Panik der Wölfin bald teilen.
„Wir sitzen gemeinsam in der Falle. Du kannst mir ruhig deinen Namen nennen.“
Schon wieder bohrte Saphira nach, anstatt einfach den Mund zu halten.
„Mein Name ist nicht wichtig.“
„Da du meinen kennst, würde ich aber deinen schon gern erfahren. Außer uns ist niemand hier, wir sind allein, bis der Tod uns holt. Ich habe Angst vor dem Sterben.“
Sterben. Das war für eine Lamia eher eine Theorie. Der Kokon der Larvae konnte sie nicht auslöschen. Dazu brauchte esmehr. Er konnte sich noch so eng um sie schließen, sie würde die Gefangenschaft überdauern. Ihr Blut würde stocken, ihr Herzschlag sich verlangsamen, bis er nicht mehr zu ertasten war. Trotzdem würde sie weiterleben, über Monate, sogar Jahre hinweg in einer Starre, die dem Tod nahe kam.
Ein Schub ging durch sie hindurch und verkrampfte ihre Glieder. Sofort rang sie ihr Entsetzen nieder, nur um zu bemerken, was ihr bisher entgangen war. Die Flammen der Fackeln bewegten sich nicht. Sie brannten nicht herab, und ihre Schatten schienen auf die Wand gemalt. In den Kokons stand die Zeit still. An nichts konnte sie festmachen, ob Stunden, Tage oder Wochen vergingen. Sie zwang sich zur Ruhe, ließ ihren Atem langsam aus den Lungen fließen und schloss die Augen.
„Ich spüre meine Beine nicht mehr!“
Der entsetzte Aufschrei löste ihre Blockade. Saphira rumorte in ihrem Kokon.
„Halt endlich den Mund und hör auf zu zappeln.“
„Meine Beine!“
„Lasse es!“
Die Bewegungen gegenüber wurden weniger. Saphira winselte leise. Die Klagelaute waren auf Dauer nicht auszuhalten. Berenikes Herz wollte davonrasen. Ihre Füße zuckten, wollten nicht länger stillstehen. Den Drang zu laufen, zu rennen, sich aus der Enge zu befreien, teilte sie mit der Wölfin. Er drohte übermächtig zu werden. Sie hielt die
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