Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
eines Vampirs mit Erleichterung. Mica stand auf der Mauer und hielt Aurora fest. Sie strampelte und trat nach ihm. Ihr schriller Schrei hallte über den Friedhof, als Mica mit ihr von der Mauer sprang. Lautlos kam der Vampir auf der anderen Seite auf. Dafür kreischte Aurora wie am Spieß.
„Loslassen! Ich lasse ihn nicht zurück. Ich habe es geschworen. Ruben! Ru-ben!“
Es ging mit ihr durch. Ohne sich nach den Larvae umzusehen, setzte er zum Sprung an. Seine Finger erhaschten die Mauer, doch bevor er den Stein fassen konnte, wurde er am Kragen gepackt und hochgezogen. Das Salz des Ozeans stieg in seine Nase, hob seinen Magen. Er kam nicht dazu, Selene mit seiner Faust auch seinen Widerwillen ins Gesicht zu schlagen. Schwungvoll flog er durch die Luft und stürzte außerhalb des Friedhofs ab. Eine knappe Drehung gelang ihm noch, dann krachte er zu Boden. Das Knacken in seinem Rücken wurde von dem Kichern der Lamia übertönt.
Bevor Aurora verinnerlichen konnte, dass es Ruben war, der vor ihren Füßen aufschlug, war er schon wieder auf den Beinen und stieß einen Fluch in Richtung Mauer aus.
„Verflucht sollst du sein, du Biest!“
Das Biest sprang von der Mauer. Das musste Selene sein. Die Lamia. Das Aufwehen ihres schwarzen Gewandes ließ sie regelrecht herabschweben. Das Kleid lag eng um ihre Brüste und floss von dort in weiten Falten zu Boden. Der durchscheinende Stoff und die Grazie einer Raubkatze verliehen ihr etwas Anrüchiges. Smaragdaugen funkelten aus einem Porzellangesicht.
„Wir sollten uns nicht länger hier aufhalten“, sagte der Mann, der kein Mann war.
Ruben war ein Mann, und so machte Aurora einen langen Schritt auf ihn zu. Sein Arm um ihre Schultern war ihr willkommen, so ließ es sich leichter in die perfekten Gesichter blicken. Eine Lamia und ein Vampir ergaben eine fremdartige Komposition von Vollkommenheit. Sie blendeten. Licht drang aus ihren Augen, schien ihre Haut von innen heraus zu erleuchten. Selbst für eine Hexe war es unheimlich. Die Lamia trällerte so süß wie eine Nachtigall und genauso unbeschwert.
„Wir müssen auf geweihten Boden.“
„Ein Friedhof ist geweihter Boden“, zischte Ruben durch die Zähne.
„Hat sie dir nicht erzählt, dass eine verfluchte Seele ausreicht, um gesegnete Erde zu entweihen?“, spöttelte die Lamia.
„Könnten wir uns fortbewegen, während wir plaudern?“, mischte der Vampir sich ein und wies nach oben.
Ascheflocken tanzten in der Luft, rollten über die Mauer und segelten herab. Aurora wollte der Atem stocken, doch da wurde sie schon herumgewirbelt und am Handgelenk gepackt.
„Jetzt kannst du mir zeigen, wie schnell du rennen kannst“, sagte Ruben und zog sie mit.
Sie rannte nicht, sie flog an seiner Hand dahin, so schnell sie konnte. Vor ihnen war Selene, hinter ihnen der Vampir. ImZickzack jagten sie durch Roms Straßen. Sie waren leer, als habe der verkümmerte Instinkt seiner Bewohner dafür gesorgt, bestimmte Wege in dieser Nacht zu meiden. Den Tod auf den Fersen hetzten sie durch eine ausgestorbene Stadt. Binnen kürzester Zeit verstopfte der eigene Herzschlag Auroras Ohren. So viele Haken konnten sie nicht schlagen, um die Larvae abzuhängen. Sie waren hinter ihnen, der Schlag ihrer Flügel zu hören. Auroras Atem kam in immer knapperen Stößen. In ihrer linken Seite setzte ein Stechen ein und wollte ihr Bein blockieren. Auf Dauer konnte sie mit den anderen nicht mithalten. Ihr Handgelenk lag in Rubens eisernem Griff. Er ließ nicht zu, dass sie strauchelte. Die Berührung spendete keinen Trost. Im Gegenteil, sie wurde schmerzhaft. Er war bereit, sich für sie zu opfern. Ohne an sich selbst zu denken, wäre er auf dem Friedhof zurückgeblieben, um die Larvae von ihr abzulenken. Sie war ein Hemmschuh. Die wehenden Kupferlocken vor ihr verrieten, dass Selene jederzeit verschwinden konnte. Auch der Vampir rannte nicht so schnell, wie er es vermochte. Die beiden blieben, weil sie auf die Unterstützung einer Strega bauten und sie brauchten. Das war ihr Antrieb. Selene und der Vampir achteten auf jeden Hinweis von Schwäche, um einzugreifen und sie mit sich zu nehmen. Ruben würden sie zurücklassen.
Aurora biss die Zähne aufeinander. Er war bereit gewesen, für sie einzutreten. Sein Versprechen war keine Phrase, die an der ersten Bedrohung zerschellte. Längst hätte er sich in einen Wolf verwandeln und auf vier Pfoten entkommen können. Um ihretwillen verzichtete er auf die eigene Sicherheit. Auf keinen Fall
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