Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
verpflichtet. Es ist meine Aufgabe.“
„Es ist dein Wille und nichts anderes“, korrigierte sie sanft.
Den Kopf leicht zur Seite geneigt, fixierte er seinen Blick auf das geschlossene Eingangsportal. An ihm war nichts von dem Zutrauen und der Unschuld des Wolfes.
„Die Larvae haben aufgegeben“, wechselte er das Thema.
„Oh nein, sie geben niemals auf. Seit Jahren suchen sie nach mir. Jetzt, da sie wissen, dass ich in Rom bin, gibt es keine Sicherheit mehr. Erst wenn sie mich gefunden haben, ist es zu Ende.“
„Weshalb bist du in Rom geblieben? Tizzio war nachlässig.“
„Was hättest du an seiner Stelle getan?“
„Dich fortgebracht, natürlich“, antwortete er fest. „Außer Landes. Zu Verwandten.“
„Tatsächlich gibt es lose Bande zu anderen Gilden überall in Europa. Doch ich gehöre nicht zu ihnen, und sie nehmen ungern Fremde auf oder weihen sie in ihre Geheimnisse ein. Außer den roten Wölfen ist mir niemand verpflichtet. Ich habe niemanden, dem an meinem Überleben liegt. Es gibt nicht nur einsame Wölfe, sondern auch einsame Hexen.“
Er scharrte mit den Füßen über den Marmor. Ein Wort von ihm und alles könnte sich ändern. Er musste sich nur entscheiden, und die Einsamkeit hätte für sie beide ein Ende. Sacht berührte sie seinen Ärmel.
„Diese Voraussetzungen, die eine Gefährtin braucht … vielleicht wäre es mir möglich …“
„Heilige Scheiße!“
Sofort zuckte ihre Hand zurück. In ihr riss etwas, löste einen drückenden Schmerz in ihrem Brustbein aus. Es mochte ihr die Voraussetzung fehlen, um die Gefährtin eines Alphawolfs zu werden, aber das rechtfertigte nicht seinen gotteslästerlichen Fluch. Sie war nicht bucklig, auch nicht von einer Hasenscharte oder Warzen entstellt. Erst im Zurückweichen fiel ihr auf, dass er ihr nicht zugehört, sondern das Portal im Auge behalten hatte. Zu sehr mit sich selbst beschäftigt, war ihr das Wummern entgangen. In der Stille der Kirche nahm es an Lautstärke zu. Die Larvae wollten eindringen, trotz des geheiligten Bodens. Sie brachte das Taufbecken zwischen sich und den Mittelgang.
„Sie können nicht herein. Wir sind in einer Kirche“, hauchte sie und war versucht, sich hinter dem marmornen Becken zu ducken.
„Geweihter Boden, ja? Er wird sie nicht aufhalten. Wir müssen raus.“ Gehetzt sah er sich um. „Es muss einen anderen Ausgang geben. Durch die Sakristei.“
Über ihren Köpfen, auf dem Dach der Kirche, hob ein Kreischen an. Ein in die Tiefe stürzender Schrei, der vor dem Portal abrupt endete. Selene oder Mica, einer von ihnen war vom Dach gesprungen, um die Larvae aufzuhalten. Aurora sah es vor sich, ein tobendes Geschöpf, das um sich schlug, umgeben von Motten und Asche. Der Kampf war aussichtslos, selbst für die Ewigen.
„Bleib in Bewegung“, schrie Mica.
Panik war nicht aus seiner Stimme herauszuhören, obwohl die bisherige Gelassenheit daraus verschwunden war. Wieder hob das Kreischen an, wurde zu einem dröhnenden, unmenschlichen Brüllen. Ein schrecklicher Laut, der Aurora lähmte. Sie starrte auf das Portal. Eine Faust schmetterte dagegen. Die Gewalt des übermenschlichen Schlages ließ Holz bersten und das Portal splitterte auf.
„Selene“, brüllte Ruben und klang wie ein Wahnsinniger. „Was hast du getan?“
Selene tauchte in einer Wolke aus Larvae auf, das Haar durchzogen von weißen Fäden. Sie klebten an ihren Wangen, besudelten ihr Kleid von oben bis unten. Raserei verzerrte ihre Schönheit zu einer Fratze. Die Larvae strömten in die Kirche. Selene spreizte die weiten Falten ihres Gewandes, bildete damit ein Netz, das die Larvae aufhalten sollte. Etliche verfingen sich in dem dünnen Stoff. Sie zog ihn zusammen und warf sich mitsamt dem Bündel gegen die Wand. Stein knirschte unter der Wucht des Aufpralls, der einige wenige Larvae zerquetschte. Der größte Teil drang weiter vor.
„Das Taufbecken, Ruben! Gesegnetes Wasser!“
Aurora stemmte sich gegen den Marmor, ohne ihn von der Stelle bewegen zu können. Einen deftigen Fluch auf den Lippen schob Ruben sie beiseite und fasste das Becken an den Rändern. Ein Nebel aus Motten füllte den Mittelgang. Das Becken kippte, traf mit einem Donnerhall auf den Marmorboden und ergoss sein Wasser über die Angreifer. Dampf zischte auf, Asche flog ihnen entgegen. Der Schwarm stob auseinander, schwebte in der Kirche, formierte sich neu. Nichts würde sie aufhalten. Den Larvae war seit Langem bewusst, was Aurora erst jetzt bewusst wurde: Der
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