Söhne der Rose - Die Zeit ist aus den Fugen- (Gay Phantasy) (German Edition)
dass meine Zeit kommen würde. So war es dann auch. Anfang Oktober spürte ich die ersten Veränderungen, die sich bis zur Mitte des Monats täglich steigerten. Es gab einen Weg für mich in die Freiheit, und dieser Weg hieß Alain Blanchard. Er war mein unwissendes Tor in ein neues Leben. Sein Leben, nachdem er mir meines genommen hatte. Auch er war ein Teil der Villa, so wie du und ich einer geworden sind. Nur, dass ich dazu gezwungen worden bin. Ich fieberte dem Tag entgegen, da Blanchard endlich verschwinden würde. Als der Zeitpunkt endlich gekommen war, lief die ganze Aktion einfacher ab, als ich es gehofft hatte. In dem Moment, da er das Grundstück verließ, schlüpfte ich in ihn. Er war verwirrt, geschwächt, befand sich in einer drastischen Umwandlung. Das machte ich mir zunutze. Ich knüppelte sein verletzliches Selbst nieder, so lange ich dich Chance dazu besaß. Normalerweise wäre es schwerer gewesen, denn Blanchard ist ein Kämpfer, genau wie ich. Aber ich hatte den richtigen Augenblick abgewartet und gewonnen.“
Der General legte eine kleine Pause ein, bei der sein Blick langsam nach unten wanderte. Er ließ Bilder der Ereignisse vor seinem geistigen Auge ablaufen.
„Etwas war seltsam“, fuhr er verträumt fort. „Während des kurzen mentalen Kampfes, der sich wahrscheinlich in Sekundenbruchteilen abgespielt hatte, schien es, als wäre das Wesen von Blanchard aufgebrochen und in Fragmente zersplittert. Damit meine ich nicht die drei Lebensebenen nach der Zeit in der Villa, von denen ich durch euch erfahren hatte. Eher so, wie eine Zweiteilung, von der eine Hälfte sofort verschwand und die übriggebliebene gedrittelt wurde, wie geplant.“
Die verschwundene Hälfte musste die gewesen sein, die sich zu Madame Rosalyn geflüchtete hatte und wenig später – nach einigen Tagen der Schulung durch sie und andere – bei der Bodypaintingsession von Sinh, Daxx und mir aufgetaucht war. Ich war mir sicher, dass die ungeplante Aufspaltung in zwei Alains unbewusst geschehen war. Eine Gefahrenreaktion, ähnlich zum Beispiel unserem Blinzeln, wenn etwas auf unsere Augen zufliegt. Wir haben keine Kontrolle darüber; es geschieht einfach. Danach können wir uns nicht einmal daran erinnern. Ansonsten hätte der junge Alain, der uns begleitete hatte, sicherlich von Anfang an gewusst, mit wem wir es zu tun bekommen würden und zumindest mich eingeweiht. Zu Beginn unserer Reise hatte Alain noch keine Ahnung gehabt, aber ich war mir sicher, dass er es gegen Ende wusste. Dadurch war er in der Lage gewesen, die elektronische Überwachung vor dem Fahrstuhl zu überlisten. Seine Retina und Fingerabdrücke stimmten natürlich mit denen von Dr. Robert überein, dem Leiter des Instituts, der zu jedem Winkel uneingeschränkten Zutritt besaß. Durch dieselbe Erkenntnis war Alain am DFW Flughafen davon überzeugt gewesen, wir würden ohne seine Hilfe Dr. Robert erkennen. Nicht, weil Daxx sich an ihn aus seiner Jugend und dem Vorfall im CERN erinnern konnte. Nein, weil Alain sicher gewesen war, dass ich ihn erkenne würde, auch als alten Mann.
Und wenn der Moment kommt, an dem du dem Bösen gegenüber stehst, dann lass dich nicht durch Äußerlichkeiten und falsche Emotionen verwirren.
Madame Rosalyns Worte. Auch sie hatte Bescheid gewusst und mir einen Hinweis gegeben. Erst jetzt ergab vieles einen Sinn für mich. Wahrscheinlich zu spät.
„Es war mir egal“, sagte der General.
Ich hatte nicht einmal mitbekommen, ob er zwischenzeitlich weitergesprochen hatte, so tief war ich in Gedanken versunken gewesen.
„Ich hatte, was ich wollte. Dummerweise konnte ich mir nicht sicher sein, ob ich alle drei vor ihrer Verteilung auf die verschiedenen Daseinsebenen, oder nur einen von ihnen erwischt hatte. Jedenfalls endete ich als neuer Besitzer seines jungen Körpers im Jahr 1979. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Ich war wieder Zwanzig, mit der Erfahrung eines Erwachsenen, der seinem Land ein halbes Leben treu gedient hatte, und als Bonus zudem über die kommenden achtzehn Jahre genau Bescheid wusste.
Mein Leben bei den Blanchard gestaltete sich in den ersten Wochen ein wenig schwierig. Ich hatte Alain zwar gut studiert, während ich in der Villa auf meine Befreiung gewartet hatte, doch es bedarf einer ganzen Menge, die eigenen Eltern zu täuschen. Es gelang mir einigermaßen, das Theater durchzuhalten, aber nach ein paar Monaten wurde mir die Sache zu bunt. Ich entledigte mich ihrer durch einen
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