Söhne der Rosen - Das geheimnisvolle Tattoo (Gay Phantasy) (German Edition)
Schulter, stützte mich und gemeinsam gingen wir los, so schnell es mein Zustand erlaubte.
„Wo gehen wir hin, Alain? Ich muss in die Villa und die Polizei rufen“, stammelte ich benommen. Ich fühlte mich, als sei ich betrunken.
„Dorthin können wir nicht. Wir müssen uns verstecken.“
„Aber meine Mum – wir müssen ihr helfen. Mein Vater ist verrückt geworden. Er hat versucht, uns zu töten.“
„Ich weiß. Vertrau mir bitte.“
Ich konnte kaum noch klar denken, aber ich war mir sicher, dass er gar nicht verstand, um was es ging. Hatte ich ihm gesagt, dass mein Vater uns umbringen wollte, oder war das nur ein verworrener Gedanke? Ich wusste es schon nicht mehr.
„Ich muss ins Haus. Telefonieren.“
„Hör mir zu, Julian. Alles wird gut. Ich verspreche es dir“, antwortete er sanft. Und zur Bekräftigung, wie um meinen letzten Widerstand zu brechen, fügte er hinzu: „Mein Freund.“
Dann hauchte er mir einen leisen Kuss auf den Hals. Ein Funken Energie durchströmte meinen Körper, gerade genug, um weitergehen zu können.
Wir erreichten die kleine Holzhütte, die mir schon bei meinem ersten Besuch aufgefallen war. Er schien Jahre zurückzuliegen. Sie war ein wenig größer als eine Garage, moosbewachsen und umrankt, mit ein paar schief verlegten Platten vor der kleinen Tür, die Alain mit einem leisen Quietschen öffnete.
Der Innenraum wirkte rustikal und hatte etwas von einer Jagdhütte. Schräg links befand sich in der Ecke ein Bett, am Kopfende ein rustikaler Nachttisch mit einer Öllampe, daneben ein winziger Kanonenofen, am Fußende lang an der Wand ein Regalschrank. Zwei mit vergilbten Gardinen verzierte Fenster auf der gegenüber liegenden Seite zeigten zur Villa, dazwischen ein kitschiger Hirschkopf. Links und rechts neben der Tür befanden sich ebenfalls Fenster, allerdings wesentlich schmalere. Am Kopfende und auf der linken Seite war die Hütte fensterlos, da sie an den beiden Stellen sowieso von der gewaltigen Hecke eingeschlossen war.
Alain führte mich zu dem Bett, auf das ich mich bereitwillig mit einer Mischung aus Resignation und Vertrauen legte. Er hockte sich neben das Bett und strich mir zärtlich über die verschwitzte und blutverschmierte Stirn. Innerer Frieden breitete sich in meinem Körper aus, wie ein warmes Getränk an einem kalten Wintertag. Realität und Traum vermengten sich unaufhaltsam, aber es war mir egal. Ein letzter klarer Gedanke riss mich für einen Sekundenbruchteil aus der Irrealität, bevor ich wieder in ihr versank: Er trägt dasselbe Hemd wie ich.
Was dann folgte, ist schwer zu beschreiben.
38
Manche Menschen behaupten, dass unsere Träume in ihrer Gesamtheit eine zweite Realität abgeben. Würde man sie am Ende unseres Lebens in eine uns geläufige temporäre Ordnung bringen, so würden sie eine Parallelwelt darstellen, in der wir zeitgleich existieren. Eine Welt, in der die meisten physikalischen Gesetze, so wie wir sie kennen, keinerlei Gültigkeit haben. Eine Welt, die mehr beherbergt, als das, was wir rational zu kennen glauben. Aber sie stellt dennoch eine Form unseres Seins dar. Wenn dem so ist, mag es Menschen geben, die bewusst zwischen den Welten pendeln können – tibetanische Mönche oder Indianer vielleicht – oder auch Menschen, die unbewusst eine Brücke dazwischen schlagen.
Wenn ich die Ereignisse jener Nacht erklären soll, und aller folgenden Nächte und Tage, muss ich mich zwangsläufig auf diese oder eine vergleichbare Theorie berufen. Eine bessere Interpretation kann und werde ich nicht finden.
Einen Teil der Geschehnisse nahm ich anfangs noch bewusst wahr; ich lag auf dem Bett, Alain an meiner Seite, das Radio – welches Radio? – spielte leise A Hard Rain’s A Gonna Fall von Bob Dylan und wir lauschten gleichzeitig nach draußen und in die Ewigkeit. Meine Schmerzen ließen stetig nach, was ich auf meinen Dämmerzustand zurückführte. Süße Gleichgültigkeit umschmeichelte mich und ich schloss meine Augen immer häufiger und länger. Dazwischen sah ich Alains Gesicht, sein freundliches, fast väterliches Lächeln, dann wie er neben einem der beiden Fenster stand und herausblickte und dann wieder, wie er neben mir hockte, über mich wachte. Irgendwann verschwand er leise durch die Tür und schlich sich durch den dunklen Garten zur Villa. Ich konnte ihn sehen, verfolgte ihn lautlos, obwohl ich noch immer regungslos auf dem Bett lag, die Lider fest verschlossen.
Die Terrassentür hing schief in der
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