Söhne der Rosen - Das geheimnisvolle Tattoo (Gay Phantasy) (German Edition)
unteren Angel, die obere herausgerissen aus dem stellenweise blutbefleckten Rahmen. In den dunklen Untiefen der Villa hörte Alain Krachen und Splittern und Schreie. Zielstrebig bewegte er sich durch die vom Mondlicht beschienenen Räume, Korridore und über Treppen bis in den dritten Stock, umging geschickt zertrümmerte und umgeworfene Einrichtungsgegenstände. Der Lärm wurde stetig lauter und die heiseren Schreie formten sich zu einzelnen, verständlichen Satzfetzen.
„Komm raus, du ...“
„... nutzt dir nichts ...“
„Du und dein schwuler Freund ...“
„... Eier abschneiden!“
„Wenn ich euch in die Finger kriege, werde ich euch ausweiden!“
Wie in einigen anderen Räumen, war auch das Licht in dem Saal eingeschaltet worden. Alain ging geradlinig und ohne Deckung darauf zu. Der General tobte wie ein tasmanischer Teufel darin, lief unkoordiniert zwischen den soeben zerschlagenen Möbeln umher und trat nach den Trümmern. Alain blieb auf der Türschwelle stehen und betrachtete ihn unbemerkt. Das Gesicht des Generals sah aus, wie das einer Mumie. Er hatte es kreuz und quer mit Panzerband umwickelt, um die heftigsten Blutungen provisorisch zu stillen. Zwischen den Streifen schimmerte eine lavaartige Masse aus rohem Fleisch, angetrocknetem und frischem Blut, welches sein ehemals olivfarbenes Hemd fast komplett schwarz gefärbt hatte. In der einen Hand hielt er das Armymesser, in der anderen seine Dienstwaffe.
„Ich fege euch vom Antlitz der Erde und tue damit Mutter Natur und der USA einen Gefallen! Abartigkeiten wie ihr dürfen nicht leben. Ihr seid krank, aber keine Sorge, Dr. Grifter wird das schon richten. Ich werde –“
Mitten im Satz und seinem Zerstörungswahn bemerkte er Alain.
„Jul, da bist du ja. Komm zu Daddy. Wir müssen hier ein paar Dinge bereinigen. Endgültig! Verstehst du?“
Wortlos trat Alain aus dem Schatten in den Saal, bis die Entfernung zwischen ihnen nur noch siebzehn Fuß betrug. In der zerstörten Visage des Generals zeichnete sich etwas wie Verwunderung ab.
„Du bist nicht mein Sohn. Du bist sein verfluchter Lover, habe ich recht? – Natürlich habe ich das. Auch gut. Dann fange ich eben mit dir an.“
„Du bist zu weit gegangen, Ernest“, sagte Alain mit unnatürlich ruhiger Stimme.
„Was fällt dir ein, so mit mir zu reden, du kleine Tucke? Zeig gefälligst ein wenig Respekt!“
„Warum sollte ich das tun?“
„Weil ich, zum Teufel noch eins, ein General bin. Ich bin ein Erwachsener, älter, erfahrener und klüger als du.“
„Falsch! Deine berufliche Laufbahn interessiert mich nicht im geringsten. Ein Beruf, dessen einzige Aufgabe es ist, Menschenleben auszulöschen. Das soll ich respektieren? Abgesehen davon bist du tatsächlich ein Erwachsener, ja. Erfahrener und klüger? Keinesfalls! Älter? Nicht wesentlich! Du hast ja keine Ahnung, du unreifer Mensch.“
Alain tat einen provozierenden Schritt vorwärts.
„Du tust mir fast leid, Ernest.“
„Glaube mir, das ist nicht nötig.“
Ohne eine weitere Gefühlsregung hob der General die Pistole und schoss. Die Kugel traf exakt Alains rechtes Auge. Sein Kopf wurde zurückgeschleudert, aber er blieb auf den Beinen, während das Geschoss eine der Wandlampen hinter ihm traf und sich ein Funkenregen auf die alten Zeitungsstapel ergoss, welcher das begierig entstehende Feuer nährte.
Alain senkte langsam sein Haupt wieder nach vorn; gleichzeitig bildeten sich winzige rote und grüne Faserstränge an der vom heißen Metall zerstörten Stelle wie eifrig gewebte Spinnennetze. Sie regenerierten das vernichtete Gewebe und die Knochen wie in einer Zeitrafferaufnahme.
„Ich denke, doch. Warum können Menschen wie du nicht die Wahrheit erkennen?“
Der General stand fassungslos da, ohne die Möglichkeit auf eine weitere Reaktion. Er hatte viel gesehen in seinem Leben: Kameraden, die bis über die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit hinaus kämpften, Soldaten, die mit ihm sprachen und gleichzeitig mit den Händen ihre Gedärme im aufgerissenen Körper hielten. Er hatte den Tod mit all seinen widerwärtigen, bizarren und auch verführerischen Gesichtern gesehen. Aber niemals zuvor etwas wie das, was sich ihm gerade bot.
„Wir sind eine Minderheit, das ist richtig. Aber wir sind kein Fehler der Natur. Ihr einziger Lapsus ist die Entwicklung und die Existenz des Menschen selbst, unabhängig der Rasse, der Farbe oder des Geschlechts. Wir zerstören Lebensformen, Menschen, Tiere, Pflanzen, ja sogar Mineralien
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