Soehne des Lichts
dieser
Gedankenstein so ganz genau war, hatte sie dabei nie so ganz verstanden. Anscheinend handelte es sich um eine Art magisches Artefakt, in dem ein Teil der Geschichte der Loy bewahrt wurde. Eine Geschichte, an die sich niemand mehr erinnerte; verloren, genau wie der Stein selbst.
„Ich habe ihn nicht gefunden, aber zumindest bin ich ihm nahe gekommen, das habe ich gespürt. Nun ist es genug, ich gehe nach Hause. Deine Freundschaft hat mich länger an diese verfluchte Stadt gefesselt, als ich jemals wollte!“ Er lachte leise, um seinen Worten den Vorwurf zu nehmen. „Verzeih, wenn dadurch die Materiallieferungen gefährdet werden sollten, ich zweifle allerdings nicht, dass du inzwischen selbst genug Kontakte in Roen Orm besitzt, um solchen Schaden abzuwenden.“
Inani nickte stumm, nichts könnte ihr im Augenblick gleichgültiger sein als irgendwelche Kisten voller Pökelfleisch, Leinentücher, Zimmermannsnägel oder Pfeilspitzen! Schließlich löste sich Inani und wies auf Niyams Ausrüstung.
„Ich bringe dich nach Hause. Ich weiß, du magst meine Nebelpfade nicht, doch dieses eine Mal solltest du dich mir anvertrauen statt umgekehrt.“
„Glaubst du, ich bin zu alt für den langen Flug?“, fragte er lächelnd.
„Niyam, hast du in den letzten Tagen mal die Nase aus der Tür gesteckt? Roen Orm kocht! Ein neuer Erzpriester sitzt im Ti-Tempel, der König liegt auf dem Sterbebett, Ilat bereitet seine Krönungsansprache vor. Flieg über die Stadt, und man wird nicht nur Pfeile nach dir schießen.“ Sie nickte grimmig, als sie seine Verwirrung erkannte.
„Mir war nicht bewusst, wie schlimm es wirklich ist! Nun gut, dann gehe ich eben zu Fuß durch die Stadttore.“ Inani schüttelte den Kopf. Niyam wusste sicherlich, dass dies ebenfalls ein unmöglicher Plan war. Die Menschen von Roen Orm waren toleranter als die meisten anderen auf der Welt, doch in solchen Zeiten der Unruhe lebten Fremde immer gefährlich.
Während all ihrer gemeinsamen Jahre hatte Inani ihn nie dazu überreden können, mit ihr in den Nebel zu gehen, sogar bei den seltenen Momenten, in denen man sie fast in den Archiven des Ti-Tempels erwischt hätte, hatte der eigensinnige Loy eher die Entdeckung riskiert als mit ihr zu fliehen. Er zögerte lange, aber schließlich nickte er.
„Ich schulde es dir. Du hast mir vom ersten Tag an vertraut.“ Er seufzte müde.
„Du schuldest mir gar nichts, außer deiner Freundschaft, und die habe ich bereits“, flüsterte Inani, als sie bereits den Nebel zu sich rief. „Du musst mir sagen, wo deine Sippe lebt. Ich kann an jeden Ort in Enra gehen, auch dorthin, wo ich selbst noch nie war. Ich muss bloß wissen, in welcher Himmelsrichtung er ist, und es sollte etwas in der Nähe sein, das ich kenne.“
Niyam zögerte nachdenklich. „Kennst du das Tezka-Meer, Inani? Den riesigen Binnensee im Osten? Das nordwestliche Ufer mit seinen Nadelbäumen und den seltsamen Gewächsen, die Erde, die rötlich schimmert, wenn die Abendsonne auf sie scheint?“
„Ja, gewiss. Ich war schon einige Male dort, die Erde ist heilsam.“
„Bring mich zuerst dorthin. Mit etwas Glück ist es eine wolkenlose Nacht, und ich kann es sehen ...“
~*~
Gedankenverloren kehrte Inani in den Palast von Roen Orm zurück. Es war bereits früher Morgen; sie hatte viele Stunden gemeinsam mit Niyam verbracht, ihn durch halb Enra geführt, bis sie ihn in Sichtweite des Waldes zurückgelassen hatte, in dem seine Sippe lebte. Das letzte Stück des Weges wollte er allein zurücklegen, da es nicht wahrscheinlich war, dass man Inani freundlich empfangen würde.
„Wir haben sehr unter Menschen gelitten, wie du weißt. Sie würden versuchen dich zu erschießen, bevor sie fragen, wer du bist und was du von ihnen wolltest.“ Die gemeinsame Reise, so kurz sie gewesen war, hatte beiden den Abschied erleichtert. Dennoch war Inani aufgewühlt und von Kummer erfüllt, als sie in ihren eigenen Gemächern landete, und so bemerkte sie erst, dass sie nicht allein war, als sich eine vertraute Hand auf ihre Schulter legte.
„Mutter!“ Sie drehte sich rasch um und zog Shora in eine feste Umarmung, die von ihr und danach Alanée freudig erwidert wurde. Inani wusste, dass beide Frauen stets ihr Bestes wollten, auch wenn es manchmal Schmerz und Leid für sie alle bedeutete. Der ungewöhnliche Weg, den diese beiden beschritten, um Inani sorgfältig auszubilden, verschonte niemanden, sich selbst am wenigsten. Inani bewunderte die
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