Soehne & Liebe der Nacht
zog sich triumphierend durch Dianas Kehle und brachte sie zum Schweigen. Für endlose Sekunden stand Gabriels Welt still. Bis er wie in Trance seinen Dolch zog und sich auf Henry stürzte, der sich verzweifelt wehrte. Gabriel stieß seinen Dolch in Henrys Brust und entriss ihm den Dolch der Auferstehung, den dieser fest umklammert hielt.
Schweißgebadet schreckte Gabriel aus seinem Traumgefängnis, in dem er seit zwanzig Jahren lebte. Schwer
atmend und mit klopfendem Herzen sah Gabriel sich im Zimmer um. Alles war in Ordnung, die Sonne stand am Himmel und warf Licht auf seine Bettdecke. Vom Flur drangen Stimmen der Hotelgäste herein. Ein Blick auf den Wecker verriet ihm, dass es zehn Uhr war. Der Abend war noch weit, aber Gabriels Rache war nah. Heute Nacht trat Henry den Heimweg zur Hölle an.
Gabriel erinnerte sich schmerzhaft an die unheilvolle erste Begegnung mit Henry vor dreihundert Jahren. Damals war Gabriel noch sterblich und unsterblich in Isabella, die Tochter des Schmiedes, verliebt gewesen. Heimlich hatten sie sich jede Nacht hinter der Scheune ihres Vaters verabredet, der vor ihrer Hochzeit nicht erlaubt hatte, dass sie sich allein trafen. Eines Nachts, als er hinter der Scheune angekommen war, hatte sich ihm ein Bild des Grauens geboten. Ein in schwarz gekleideter Mann hatte seine leblose Isabella im Arm gehalten und Blut aus ihrer Kehle getrunken. Gabriel war unfähig gewesen zu denken, zu reden, sich zu bewegen. Erst als die Frau, die er liebte, von dem Fremden zu Boden geworfen wurde, war Gabriel aus seiner Erstarrung erwacht.
Aber einem Kampf mit seinem Gegner war er damals nicht gewachsen gewesen. Neben seiner großen Liebe hatte er durch einen Dolchstoß ins Herz einen schnellen Tod gefunden. Als Gabriel wieder erwacht war, hatte er immer noch auf dem Boden gelegen. Verwirrt hatte er sich erhoben und die fremde Umgebung betrachtet. Isabellas Leiche war verschwunden gewesen und auch
die Scheune hatte er vergeblich gesucht. Stattdessen hatten ihn die schönsten Rosensträucher umgeben, die er jemals gesehen hatte. Als er an sich herab gesehen hatte, hatte er festgestellt, dass sein weißes Hemd noch immer blutgetränkt war. Ein Griff an sein heftig schlagendes Herz hatte gezeigt, dass seine Wunde verheilt war. Ehe er einen klaren Gedanken hatte fassen konnte, war eine junge Frau auf ihn zugekommen, die ihn lächelnd begrüßt hatte.
„Gabriel, herzlich willkommen in der höchsten Ebene. Ich bin Saphira, die Tochter des Herrschers über diese Welt. Du bist auferstanden, auserwählt, ein Avartar zu sein, um die Söhne der Nacht zu jagen und zu vernichten.“ Sie hatte ihn aus dem Rosengarten in ein Schloss und weiter in einen riesigen Saal geführt, der prunkvoll eingerichtet war. Ein roter Teppich hatte ihn vorbei an wertvollen Gemälden zu einem Thron geführt, auf dem ein Mann saß. Er war in wertvolle Gewänder aus roter Seide gehüllt gewesen. Rechts und links von ihm hatten zwei Frauen gestanden, die Saphira sehr ähnlich sahen. Saphira hatte ihm ins Ohr geflüstert: „Knie nieder.“
Er hatte getan, wie ihm geheißen. Damals hatte er von der Geschichte einer verbotenen Liebe erfahren, einer Liebe, die unermessliches Leid gebracht hatte. Leid für Saphiras jüngere Schwester Cara und Leid für Ewan, der durch seine Verbannung zum Schöpfer noch größeren Unheils wurde und wiederum Leid über die Menschheit brachte.
Gabriel atmete tief durch und verbannte die Gedanken an das Gestern. Sein Heute war Henry und noch heute Nacht schickte er der Hölle, was ihr gehörte.
14
Lara stand vor dem Haus ihrer Großmutter, überfallen von tausend Erinnerungen und genauso vielen Ängsten. Drei Monate hatte sie es umgangen, sich dieser schmerzhaften Situation zu stellen. In diesem Haus befanden sich die Menschen, die sie nicht gehen lassen wollte. Wie eine Nacht ohne Sterne war dieses Haus ohne den Glanz ihrer Großmutter. Die Seele des Hauses sprach nicht mehr. Das Haus hatte seine Wärme verloren, seinen Herzschlag. Es war wie ein Tag ohne Sonne, und doch stand es da hoheitsvoll wie eh und je, gelb gestrichen inmitten eines riesigen Gartens, dessen große Apfelbäume in einigen Zimmern Schatten aus Zweigen, Blättern und Äpfeln warfen.
Lara öffnete das Gartentor, das sie mit einem quietschenden Geräusch begrüßte. Sie ging zögernd auf die Haustür zu. Lara legte ihre zitternde Hand auf die Klinke und öffnete die Tür zur Realität. Sie wurde empfangen von einer erdrückenden Erinnerung,
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