Söldner des Geldes (German Edition)
um die Sicherheitsmassnahmen im Notfallkonzept der Jahreskonferenz zu besprechen. Dirk fragte, wo er stecke und ob er zum Lunch kommen wolle. Beide Nachrichten waren von diesem Morgen und hatten sich von selbst erledigt.
Das erste Puzzleteilchen war die Liste mit den Nummern aus Schmitts Mobiltelefon: Der späte Nachmittag war eine gute Zeit, die noch nicht identifizierten, anonymen Nummern anzurufen. Winter öffnete auf seinem Computer den digitalen Telefondienst Skype, setzte sich einen Kopfhörer mit Mikrofon auf und wählte die erste Nummer.
«Ja?», tönte es aus dem Kopfhörer.
Winter gab seiner Stimme eine fröhliche, aufgestellte Note: «Guten Tag, mein Name ist Schneebeli. Ich darf Ihnen mitteilen, dass Sie einen schönen Preis gewonnen haben. Herzliche Gratulation!»
«Wie bitte?»
«Vor ein paar Wochen erlaubten Sie uns, Ihnen ein paar Fragen zu Ihrem Konsumverhalten zu stellen. Heute haben wir nun unter allen Teilnehmern, die so freundlich waren, sich Zeit für die Umfrage zu nehmen, die Gewinner gezogen. Unter notarieller Aufsicht.»
«Ich habe an keiner Umfrage teilgenommen und will auch nichts kaufen.» Die Stimme gehörte einem Mann, war kehlig und bereits ärgerlich.
In Winters Kopf formte sich das Bild eines unrasierten Alkoholikers. Er fuhr unbeirrt fort: «Ich verkaufe Ihnen nichts, und es tut mir leid, wenn ich Sie störe, aber ich bin beauftragt, die Gewinner zu benachrichtigen, Ihnen zu gratulieren und Ihnen den iPod zu schicken.»
«Den iPod?»
«Ja, Sie haben einen der zehn verlosten iPods gewonnen.»
«Wirklich?»
«Damit ich Ihnen den iPod schicken kann, bräuchte ich nur noch Ihren Namen und Ihre Anschrift.»
«Wenn Sie meinen. Wahrscheinlich haben Sie mit meiner Frau gesprochen.»
«Das kann gut sein. Wohin darf ich den iPod schicken?»
Der Mann diktierte seine Anschrift, Winter fragte nach der bevorzugten Farbe, Weiss, Schwarz, Blau, Metallic oder Pink, gratulierte noch einmal und verabschiedete sich. Nicht schlecht für den Anfang. Er trank einen Schluck Wasser und telefonierte sich durch die Liste.
Etwa jeder dritte Anruf mündete in ein Gespräch, in welchem Name und Adresse preisgegeben wurden. Die Aussicht auf ein kleines Geschenk wirkte. Bestechung.
Ein zweites Drittel der Nummern führte zu einem Telefonbeantworter. Er hinterliess keine Nachrichten, notierte aber allfällige Namen.
Das dritte Drittel der Nummern brachte Winter mit ausgesprochen kurz angebundenen Menschen in Verbindung. Eine ältere Frau mit hochnäsiger Ausdrucksweise bedachte Winter mit unflätigen, aber phantasievollen Schimpfworten. Er schmunzelte. Einer meinte, Winter könne sich den iPod mit der Farbe Pink in den Arsch schieben.
Nach einer Stunde gab er auf und war froh, dass er seinen Lebensunterhalt nicht im Telefonverkauf verdienen musste. Seine Ohren waren heiss und seine freundliche Ader aufgebraucht. Keiner der Namen half weiter. Er würde den Rest der Liste mit den anonymen Nummern später anrufen.
Winter stand auf, streckte sich und machte sich auf die Suche nach einem weiteren Teilchen des Puzzles. Jedes Kind wusste, dass ein Puzzle am schnellsten zusammengesetzt werden kann, wenn zuerst die vier Eck- und dann die geraden Randteile herausgesucht wurden. Sein Puzzle war komplizierter, ohne Ränder und ohne Vorlage. Aber Raum und Zeit konnten nicht ignoriert werden.
Winter holte sich einen Kaffee.
Viele Leute beklagten sich darüber, dass alles und jeder überwacht wurde: Videokameras an jeder Ecke, Dutzende von Zugangscodes, Passwörtern und IP -Nummern. Für Winter machten diese die Bank sicherer. Sicherheit war Voraussetzung für Vertrauen. Und Vertrauen war das Kapital der Bank.
Winter loggte sich in das Zutrittssystem der Bank ein, welches die elektronisch gesicherten Türen erfasste. Die Mitarbeitenden konnten diese nur mit ihrer Sicherheitskarte öffnen. Alle Daten wurden automatisch gespeichert. Exakt eine Minute nach Mitternacht generierte das System für jede Kontaktstation einen neuen Ordner.
Winter scrollte zum 24. Juli und öffnete den Ordner der Kontaktstationen des Zürcher Lifts. Auch der Lift konnte nur mit der personalisierten Sicherheitskarte bedient werden: Mitarbeitende mit einem Parkplatz konnten ins Parking im zweiten Untergeschoss fahren. Ausgewählte Mitarbeitende der Sicherheitsstufe drei durften das vierte Untergeschoss mit den Schliessfächern und den Tresors betreten. Aber fast alle Mitarbeitenden konnten das dritte Untergeschoss mit der Heizung, dem
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