Söldner des Geldes (German Edition)
hatte. Die offensichtlichste Hypothese war, dass sich jemand für den Zwischenfall auf dem Golfplatz rächen wollte. Diese Spinner der TAA waren dem Alten Testament verpflichtet. Auge um Auge.
Wie hatte der Schütze sie gefunden? Waren sie verfolgt worden? Auf der Hinfahrt hatte Winter nichts bemerkt. Allerdings hatte er auch nicht dauernd in den Rückspiegel geschaut. Oder hatte sie jemand über die Mobiltelefone geortet? Bei Meister war das ja Routine. Aber hier oben war kein Empfang. Der Helikopter von vorhin war nur vorbeigeflogen und hatte etwas transportiert. Winter hatte einen weiteren Verdacht, den er aber erst im Tal unten verifizieren konnte.
Sie erreichten den Gletscher. Nach der Hängebrücke war Fatima nicht mehr so richtig beeindruckt. Sie überquerten das Eis auf einem markierten Weg. Stunden später stiegen sie mit müden Knien wieder in die Seilbahn, die sie ins Tal brachte. Auf dem ganzen Weg war ihnen kein Mensch begegnet.
Beim jungen Seilbahnangestellten erkundigte sich Winter, ob er einen Jäger gesehen hatte. Dieser verneinte, hatte aber seinen Kollegen erst um drei Uhr abgelöst. Sie liessen sich erklären, wo der Angestellte der Morgenschicht wohnte. Winter und Fatima fanden ihn gleich um die Ecke der Talstation im Garten eines uralten, von Wind und Schnee schiefen Bauernhauses. Er war daran Kartoffeln auszugraben und harkte die Erde um. Winter blieb am Zaun stehen: «Hallo, kann ich Sie etwas fragen?» Der Mann mit der Harke blickte auf und nickte nur. Er war nicht von der gesprächigen Sorte.
«Heute Morgen sind wir mit der Gondel nach oben gefahren.»
«Ja, ich weiss.» Er wischte sich den Schweiss von der Stirn und musterte Fatima ausgiebig. Sie wurde verlegen und schaute zu Winter. «Kurz nach ein Uhr hat uns jemand mit einer Gämse verwechselt. Deshalb die Frage: Haben Sie einen Jäger gesehen?»
«Die Jagd beginnt erst im September.»
«Dieser Jäger war seiner Zeit voraus.»
Der Bergbauer liess sich nicht aus der Ruhe bringen, stützte das Kinn auf die Harke und dachte angestrengt nach. Das war harte Arbeit. «Eine Stunde nach Ihnen ist einer nach oben gefahren.»
«Hat er etwas gesagt?»
Der Bauer schüttelte den Kopf.
«Und es war kein Jäger?»
«Nein.»
«Er hatte also kein Gewehr dabei?»
Der Bauer dachte lange nach. Winter wartete seinerseits schweigend, bis es seinem Gegenüber unangenehm wurde. Nach einer endlosen Minute sagte der Bauer: «Er war ein ziemlicher Punk.»
Jetzt war Winter erstaunt: «Ein Punk?»
«Ja, wissen Sie, ganz in Schwarz. Und bleich wie ein Albinokalb. Zu viele Computerspiele. Zu wenig richtige Arbeit.» Er trat mit seinem Stiefel die Harke verächtlich in die Erde und spiesste eine Kartoffel auf.
«Haarfarbe und Grösse?»
«Sind Sie Polizist?»
«Nicht mehr.»
«Er hatte kurzes blondes Haar und war ziemlich gross. Ich habe ihn nur kurz am Schalter gesehen.»
«Und er sprach Schweizerdeutsch?»
«Ja, aber er war nicht von hier.»
«Hatte er einen Rucksack dabei?»
«Nein.» Dann: «Doch, jetzt wo Sie mich fragen.»
«Was heisst das?»
«Er hatte, glaube ich, einen Gleitschirm dabei. In einem Rucksack.» Darin konnte man ein Gewehr problemlos verstecken.
«Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?»
Lange Pause. Kratzen des Rückens. Dann: «Die Schuhe. Er hatte Militärschuhe. Solche, die früher nur die Offiziere tragen durften.»
«Sie meinen geschnürte Kampfstiefel?»
«Ja, genau. Das gehört wahrscheinlich zur Ausrüstung eines Punks.» Sie bedankten sich und gingen zum Audi. Fatima hatte nicht viel verstanden und fragte: «Ein Punk?»
«Punk ist tot. Das war Max.»
Der grüne Geländewagen war nicht mehr da.
Winter bückte sich und untersuchte den Audi. Er fand keine Bombe, aber innerhalb der hinteren rechten Radkappe einen unscheinbaren, mit einem starken Magneten befestigten Peilsender. Erhältlich in jedem Elektronikladen. Besonders beliebt bei auf Scheidungen spezialisierten Detekteien und zur Markierung von Luchsen und Bären.
«Da.» Fatima schaute ihm über die Schulter.
«Das erklärt, wie Max uns gefunden hat.» Er liess den Sender an seinem Platz und schaute sich um. Das Tal war ruhig.
6. August 18:30
Die künstlichen Wimpern der adretten Damen am Empfang des Grand Palace in Interlaken verzogen sich keinen Millimeter, als sich der verschwitzte Winter mit verbundenem Arm anmeldete. Die Empfangsdamen hatten schon ganz anderes gesehen. Es gehörte zum erfolgreichen Geschäftsmodell des Fünfsternehotels,
Weitere Kostenlose Bücher