Söldnerehre (German Edition)
Wobei könnten sie diesem Kerl denn im Weg sein? Plötzlich riss er die Augen auf, als es ihm dämmerte. »Lyra und die anderen?«
Der Krieger zuckte nichtssagend mit den Achseln. »Wenn das ihre Namen sind, ja.«
Vekal trat einen vorsichtigen Schritt zur Seite, um sich für seinen nächsten Angriff in eine bessere Position zu bringen.
»Wo ist Jonas?«, wiederholte er, diesmal drängender.
Als Antwort grinste der Krieger lediglich. »Keine Sorge. Du wirst ihn gleich wiedersehen. Dann darfst du ihm Gesellschaft leisten.«
Schnell – viel schneller, als Vekal es je bei einem Menschen gesehen hatte – sprang der Krieger mit einem Satz hoch in die Luft, zog sein Bein vor und traf Vekal unter dem Kinn.
Bunte Sterne explodierten vor seinen Augen, als er von den Beinen gehoben und gegen den nächsten Baum katapultiert wurde. Die Messer entglitten seinen kraftlosen Fingern und er rutschte am Baum herab auf den kalten Waldboden. Die Rinde fühlte sich spröde und rau in seinem Rücken an. Doch das Moos, auf dem er jetzt saß, war angenehm kühl.
Ein analytischer Teil seines Verstandes fragte sich, wie er jetzt noch all diese Dinge in sich aufnehmen konnte, wo doch der Großteil seines Gehirns vorrangig damit beschäftigt war, den Schmerz zu verarbeiten, den er empfand.
Sein Mund füllte sich mit Blut. Er hatte sich auf die Zunge gebissen, ohne es zu bemerken. Vekal sammelte seinen Speichel und spie ihn gemeinsam mit dem Blut aus. Sein Kopf dröhnte vor Schmerz. Noch nie hatte er jemanden so blitzartig angreifen sehen. In diesem Moment realisierte er, dass der Kampf für ihn bereits verloren war, noch bevor er ihn richtig aufgenommen hatte. Sein Gegner war ihm immer um mindestens zwei Schritte voraus gewesen.
Ein Schatten fiel auf ihn. Vekal hob mühsam den Kopf. Über ihm stand der hünenhafte Krieger. Hinter dem Mann brach das Sonnenlicht durch das dichte Blätterdach, sodass er dessen Gesicht nicht sehen konnte. Als er sprach, war seine Stimme ungewöhnlich mitfühlend. Die Stimme klang dumpf, als würde sie aus weiter Ferne kommen.
»Tut mir wirklich leid. Aber falls es dir ein Trost ist, ich habe nicht vor, euch lange festzuhalten.«
Dann sah Vekal nur noch diesen bösartigen Knüppel auf sein Gesicht herabfahren.
* * *
Kilian sprintete durch den Wald. Äste, die ihm in die Quere kamen, schlug er ungeduldig beiseite oder wich ihnen behände aus. Darian hatte Mühe, ihm zu folgen, doch er konnte auf seinen Freund nicht warten. Die Angst um Vekals Schicksal verlieh seinen Beinen Flügel.
Es war nur wenige Sekunden her, da war ein Schrei voller Schmerz und Angst durch den Wald gehallt. Unverkennbar Vekals Stimme.
Die Richtung eines Geräusches war im Wald nur sehr schwer und ungenau festzustellen. Der Widerhall an den Bäumen erweckte den Eindruck, es würde aus mehreren zugleich kommen. Doch diesmal hatte Kilian eine ziemlich gute Vorstellung davon, woher der Schrei gekommen war.
Kilian rannte, bis ihm der Schweiß über die Stirn und in die Augen lief. Er blinzelte die Tropfen ungnädig weg. Dass Darian längst zurückgeblieben war und sich schon gar nicht mehr bemühte, Schritt zu halten, war ihm egal. Erst Jonas und jetzt Vekal. Das durfte einfach nicht sein.
Als er schließlich den Platz des Geschehens erreichte, zeugten nur noch ein großer Blutfleck und zwei achtlos liegen gelassene Messer von dem Kampf, der hier stattgefunden haben musste.
Verzweifelt rief Kilian Vekals Namen, doch der Messerkämpfer antwortete nicht. Es war, als hätte der Wald ihn verschluckt. Vekal war verschwunden.
8
Kilian stieß wütend mit dem Fuß die Tür zur Taverne auf, betrat den Schankraum und ließ sich schwer auf einen der Stühle fallen. Darian trottete deprimiert hinter ihm her, setzte seine schwere Axt ab und verschnaufte erst einmal. Sein gewaltiger Brustkorb hob und senkte sich mit jedem Atemzug. Silas und Kurta wechselten einen schnellen, unsicheren Blick.
Eine der Bedienungen eilte sofort herbei.
»Wein!«, blaffte Kilian sie grob an. Das verschreckte Mädchen machte sich davon, um das Bestellte zu bringen. Sie verschwand in der Küche und erschien kurz darauf mit einer Karaffe und zwei Bechern, die sie vor den beiden Söldnern abstellte, und begab sich sofort wieder in die Küche.
Kilian füllte einen Becher mit dem dunkelroten Wein und stürzte ihn in einem Zug hinunter. Dieses Kunststück vollführte er noch dreimal, ehe er den Becher erstmals für längere Zeit absetzte.
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