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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Stapel. Sie nahm sich einen leeren Ordner und einen Locher, knipste Löcher in die Blätter und heftete sie ordentlich in den Ordner. Den Ordner legte sie oben in den Schrank zu dem weißen Kniestrumpf. Später am Tag wollte sie noch die Kuchendose aus der Höhle holen.
    Von nun an sollte Ordnung in die Dinge kommen. Sofie dachte nicht nur an die Dinge im Zimmer. Nachdem sie über Aristoteles gelesen hatte, wusste sie, dass es genauso wichtig war, in Begriffen und Vorstellungen Ordnung zu halten. Sie hatte für diese Fragen ein eigenes Fach oben im Schrank reserviert. Das war die einzige Stelle im Zimmer, über die sie noch keine volle Übersicht hatte.
    Ihre Mutter hatte seit zwei Stunden nichts von sich hören lassen. Sofie ging in den ersten Stock hinunter. Ehe sie die Mutter weckte, musste sie ihre Tiere füttern.
    In der Küche beugte sie sich über das Goldfischglas. Der eine Fisch war schwarz, der zweite orange und der dritte weiß und rot. Deshalb hatte sie sie Schwarzer Peter, Goldlöckchen und Rotkäppchen getauft. Während sie Goldfischfutter ins Glas streute, sagte sie:
    »Ihr gehört zum lebendigen Teil der Natur. Also könnt ihr Nahrung zu euch nehmen, ihr könnt wachsen und ihr könnt euch vermehren. Genauer gesagt, gehört ihr zum Tierreich. Also könnt ihr euch bewegen und ins Zimmer schauen. Um ganz genau zu sein, seid ihr Fische, also könnt ihr mit Kiemen atmen und im Wasser des Lebens hin und her schwimmen.«
    Sofie drehte den Deckel auf die Goldfischfutterbüchse. Sie war zufrieden mit der Einordnung der Goldfische in die Ordnung der Natur – und vor allem mit dem Ausdruck »Wasser des Lebens«. Nun kamen die Wellensittiche an die Reihe. Sofie schüttete Vogelfutter in ihr Futternäpfchen und sagte:
    »Lieber Tom und lieber Jerry! Ihr seid zwei süße kleine Wellensittiche geworden, weil ihr euch aus kleinen süßen Wellensitticheiern entwickelt habt, und weil es die ›Form‹ dieser Eier war, zu Wellensittichen zu werden, seid ihr zum Glück keine geschwätzigen Papageien geworden.«
    Sofie ging in das große Badezimmer. Hier lag die träge Schildkröte in einer großen Kiste. Jedes dritte oder vierte Mal, wenn Sofies Mutter duschte, rief sie laut, dass sie dieses Vieh eines Tages umbringen würde. Aber bisher war es bei dieser leeren Drohung geblieben. Aus einem großen Einmachglas nahm Sofie ein Salatblatt und legte es in die Kiste.
    »Liebe Govinda«, sagte sie. »Du gehörst nicht gerade zu den schnellsten Tieren. Aber du bist immerhin ein Tier, das ein winziges Stück von der großen Welt erleben kann, in der wir leben. Du kannst dich damit trösten, dass du nicht die einzige bist, die nicht aus ihrer Haut heraus kann.«
    Sherekan war sicher draußen auf Mäusejagd, das ist schließlich die Natur der Katzen. Sofie ging durchs Wohnzimmer in das Schlafzimmer ihrer Mutter. Auf dem Couchtisch stand eine Vase mit Osterglocken. Die gelben Blumen schienen sich ehrfürchtig zu verneigen, als Sofie vorbeikam. Sofie blieb kurz stehen und strich mit zwei Fingern über die glatten Köpfe.
    »Auch ihr gehört zum lebendigen Teil der Natur«, sagte sie. »So gesehen, habt ihr ein gewisses Privileg im Vergleich zu dem Glas, in dem ihr steht. Aber leider seid ihr unfähig, das zu empfinden.«
    Jetzt schlich Sofie sich in das Schlafzimmer ihrer Mutter. Die Mutter schlief tief, aber Sofie legte ihr eine Hand auf den Kopf.
    »Du gehörst zu den Allerglücklichsten«, sagte sie. »Denn du bist nicht einfach nur lebendig wie die Lilien auf dem Feld. Und du bist nicht nur ein lebendiges Wesen wie Sherekan oder Govinda. Du bist ein Mensch und also verfügst du über die seltene Fähigkeit zu denken.«
    »Was sagst du da, Sofie?«
    Ihre Mutter wurde schneller wach als sonst.
    »Ich sage bloß, dass du aussiehst wie eine träge Schildkröte. Ansonsten kann ich dir mitteilen, dass ich mein Zimmer aufgeräumt habe. Ich bin mit philosophischer Gründlichkeit ans Werk gegangen.«
    Die Mutter setzte sich halbwegs im Bett auf.
    »Ich komme«, sagte sie. »Kannst du schon mal Kaffee aufsetzen?«
    Sofie konnte und bald saßen sie bei Kaffee, Saft und Kakao in der Küche. Nach einer Weile fragte Sofie:
    »Hast du dir schon einmal überlegt, warum wir leben?«
    »Ach, du lässt wohl nicht locker.«
    »Doch, jetzt weiß ich nämlich die Antwort. Auf diesem Planeten leben Menschen, damit jemand allen Dingen hier einen Namen geben kann.«
    »Ach? Das habe ich mir noch nie überlegt.«
    »Dann hast du ein schweres Problem,

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