Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
Schilf. Da lag wie neulich das Ruderboot.
»Warst du schon mal hier?«
Sofie schüttelte den Kopf. Es wäre doch zu kompliziert, wenn sie ihrer Freundin über ihren letzten Besuch erzählte. Wie hätte sie es dabei schaffen sollen, nichts über Alberto Knox und den Philosophiekurs zu verraten?
Sie scherzten und lachten, während sie über den See ruderten. Sofie achtete sorgfältig darauf, das Boot am anderen Ufer sicher an Land zu ziehen. Bald standen sie vor der Tür. Jorunn fasste an die Klinke, es war klar, dass niemand in der Hütte war.
»Abgeschlossen – du hattest doch wohl nichts anderes erwartet?«
»Vielleicht finden wir einen Schlüssel«, sagte Sofie.
Sie begann, zwischen den Steinen der Grundmauer zu suchen.
»Ach was, wir gehen zurück zum Zelt«, sagte Jorunn nach einigen Minuten.
Aber da rief Sofie:
»Ich hab ihn, ich hab ihn!«
Triumphierend hielt sie einen Schlüssel hoch. Sie steckte ihn ins Schloss und damit öffnete sich die Tür.
Die beiden Freundinnen schlichen sich wie die Verbrecherinnen ins Haus. Drinnen war es kalt und finster.
»Wir sehen ja nichts«, sagte Jorunn.
Aber Sofie hatte auch daran gedacht. Sie zog eine Streichholzschachtel aus der Tasche und strich ein Streichholz an. Sie konnten nur sehen, dass die Hütte leer war, ehe das Streichholz wieder verlosch. Sofie zündete ein neues an und nun entdeckte sie in einem schmiedeeisernen Leuchter auf dem Kamin eine kleine Kerze. Sie zündete die Kerze mit einem dritten Streichholz an und sofort war das kleine Zimmer so hell, dass sie sich umsehen konnten.
»Ist es nicht seltsam, dass eine kleine Kerze so viel Finsternis aufhellen kann?«, fragte Sofie.
Ihre Freundin nickte.
»Aber irgendwo verliert sich das Licht in der Finsternis«, fuhr Sofie fort. »Eigentlich existiert keine Finsternis an sich. Sie ist nur Mangel an Licht.«
»Meine Güte, was redest du für komisches Zeug! Wir gehen ...«
»Erst sehen wir in den Spiegel.«
Sofie zeigte auf den Messingspiegel, der genau wie neulich über der Kommode hing.
»Wie schön ...«
»Aber das ist ein Zauberspiegel.«
»Spieglein, Spieglein, an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?«
»Ich mache keine Witze, Jorunn. Ich glaube, man kann durch diesen Spiegel hindurch etwas auf der anderen Seite sehen.«
»Hast du nicht gesagt, du wärst noch nie hier gewesen? Und warum macht es dir solchen Spaß, mich zu erschrecken?«
Diese Frage konnte Sofie nicht beantworten.
»Tut mir Leid.«
Aber nun entdeckte Jorunn etwas, das in einer Ecke auf dem Boden lag. Sie hob es hoch.
»Ansichtskarten«, sagte sie.
Sofie keuchte.
»Fass sie nicht an! Hörst du, du darfst sie nicht anfassen!«
Jorunn fuhr zurück. Sie ließ die Schachtel wie etwas, an dem sie sich verbrannt hatte, auf den Boden fallen. Die Karten verteilten sich über den Fußboden. Nach ein paar Sekunden prustete sie los.
»Das sind doch bloß ganz normale Ansichtskarten.«
Jorunn setzte sich auf den Boden und sammelte die Karten auf. Bald setzte sich auch Sofie.
»Libanon ... Libanon ... Libanon ... alle Karten sind im Libanon aufgegeben«, stellte Jorunn fest.
»Das weiß ich.« Sofie schluchzte fast.
»Dann bist du doch schon mal hiergewesen.«
»Dann bin ich das eben.«
Sofie ging auf, dass alles leichter sein würde, wenn sie einfach zugab, schon einmal hiergewesen zu sein. Es konnte ja wohl kaum schaden, ihrer Freundin einen kleinen Einblickin die vielen geheimnisvollen Ereignisse der letzten Tage zu geben.
»Ich wollte das erst hier verraten.«
Jorunn hatte angefangen, die Karten zu lesen.
»Allesamt sind an eine gewisse Hilde Møller Knag gerichtet.«
Sofie hatte noch keine Karte angerührt.
»Ist das die ganze Adresse?«
Jorunn las vor:
»Hilde Møller Knag, c/o Alberto Knox, Lillesand, Norway.«
Sofie atmete erleichtert auf. Sie hatte Angst gehabt, es könnte »c/o Sofie Amundsen« auf diesen Karten stehen. Erst jetzt sah sie sich genauer an.
»28. April ... 4. Mai ... 6. Mai ... 9. Mai ... sie sind erst vor wenigen Tagen abgestempelt.«
»Aber das ist nicht alles. Alle Stempel sind auf Norwegisch . Sieh nur – UN-Regiment! Es sind auch norwegische Briefmarken ...«
»Ich glaube, das ist immer so. Sie sollen doch neutral sein, und deshalb haben sie da unten ein eigenes norwegisches Postamt.«
»Aber wie wird die Post nach Hause geschafft?«
»Mit Militärflugzeugen, nehme ich an.«
Sofie stellte die Kerze auf den Boden. Und nun lasen die beiden Freundinnen, was auf den
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