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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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die christliche Theologie einen starken Einfluss ausüben.
    Du erinnerst dich an Platons Ideenlehre, Sofie. Du weißt noch, dass er die Ideenwelt und die Sinnenwelt unterschied. So unterschied er auch scharf zwischen der Seele des Menschen und seinem Körper. Dadurch wurde der Mensch zum Doppelwesen: Unser Körper, so Platon, besteht aus Erde und Staub, wie alles andere auf der Sinnenwelt, aber wir haben auch eine unsterbliche Seele. Bereits lange vor Platon war diese Vorstellung in Griechenland sehr verbreitet gewesen. Plotin war außerdem mit ähnlichen asiatischen Vorstellungen vertraut.
    Plotin sah die Welt als zwischen zwei Polen eingespannt. Am einen Ende steht das göttliche Licht, das er als das Eine bezeichnete. Manchmal nannte er es auch Gott . Am anderen Ende herrscht die absolute Finsternis, die das Licht des »Einen« nicht erreicht. Aber Plotin geht es darum, dass diese Finsternis im Grunde gar keine Existenz hat. Sie ist nur eine Abwesenheit von Licht – ja, sie ist nicht. Das Einzige, was existiert, ist »Gott« oder das »Eine«, aber wie sich eine Lichtquelle in der Dunkelheit schrittweise verliert, zieht sich an einer Stelle auch eine Grenze dafür hin, wie weit die göttlichen Strahlen gelangen können.
    Plotin zufolge bestrahlt das Licht des »Einen« die Seele, während der Stoff die Finsternis ist, die keine eigentliche Existenz hat. Aber auch die Formen in der Natur haben einen schwachen Widerschein des »Einen«.
    Stell dir ein großes brennendes Feuer in der Nacht vor, liebe Sofie. Vom Feuer aus sprühen Funken in alle Richtungen. In weitem Umkreis des Feuers ist die Nacht erhellt, und noch in einigen Kilometern Entfernung kann man den schwachen Lichtschein dieses Feuers sehen. Wenn wir noch weiter weggehen, sehen wir nur noch ein winziges Lichtpünktchen, wie eine schwache Laterne in der Nacht. Und wenn wir uns jetzt noch weiter vom Feuer entfernen, kann uns überhaupt kein Licht mehr erreichen. Irgendwo verlieren die Lichtstrahlen sich in der Nacht, und wenn es ganz dunkel ist, sehen wir nichts. Dann gibt es weder Schatten noch Konturen.
    Stell dir jetzt die Wirklichkeit wie ein solches Feuer vor. Was brennt, ist Gott – und die Finsternis draußen ist der kalte Stoff, aus dem Menschen und Tiere gemacht sind. Neben Gott stehen die ewigen Ideen, die die Urformen aller Geschöpfe sind. Vor allem ist die menschliche Seele ein »Funken des Feuers«. Aber auch überall in der Natur scheint etwas von diesem göttlichen Licht. Wir können es in allen lebenden Wesen sehen, ja, sogar eine Rose oder eine Glockenblume haben einen solchen göttlichen Schein. Am weitesten entfernt vom lebendigen Gott sind Erde, Wasser und Steine.
    Ich sage, dass in allem, was wir sehen, etwas von dem göttlichen Mysterium liegt. Wir sehen, dass es in einer Sonnenblume oder im Klatschmohn funkelt. Mehr von diesem unergründlichen Mysterium ahnen wir in einem Schmetterling, der von einem Zweig auffliegt – oder in einem Goldfisch, der durch sein Goldfischglas schwimmt. Am allernächsten kommen wir Gott jedoch in unserer eigenen Seele. Nur dort können wir mit dem großen Lebensgeheimnis vereint werden. Ja, in seltenen Momenten können wir uns selber als dieses göttliche Mysterium erleben.
    Plotins Bildgebrauch erinnert an Platons Höhlengleichnis. Je näher wir dem Höhleneingang kommen, um so näher kommen wir dem, von dem alles Existierende herstammt. Aber im Gegensatz zu Platons klarer Zweiteilung der Wirklichkeit prägt Plotins Gedankengang ein Ganzheitserlebnis. Alles ist eins – denn alles ist Gott. Selbst die Schatten unten in Platons Höhle weisen einen schwachen Widerschein des »Einen« auf.
    Einige wenige Male in seinem Leben erlebte Plotin, dass seine Seele mit Gott verschmolz. So etwas bezeichnen wir gerne als mystisches Erlebnis . Plotin hatte nicht als Einziger solche Erlebnisse. Menschen aller Zeiten und Kulturen haben darüber berichtet. Sie mögen ihr Erlebnis ganz unterschiedlich beschreiben, aber ihre Beschreibungen weisen auch viele wichtige Gemeinsamkeiten auf. Wir werden uns einige dieser Gemeinsamkeiten ansehen.
Mystik
    Ein mystisches Erlebnis bedeutet, sich in Einheit mit Gott oder der »Weltseele« zu erleben. In vielen Religionen wird betont, dass zwischen Gott und seiner Schöpfung ein Abgrund klafft, während der Mystiker diesen Abgrund nicht erlebt. Mystiker oder Mystikerinnen erleben ein »Aufgehen in Gott«.
    Es geht darum, dass das, was wir gemeinhin »ich« nennen, nicht unser

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