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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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lateinische »video«.
    Ganz allgemein können wir feststellen, dass das Sehen der wichtigste Sinn für die Indogermanen war. Bei Indern und Griechen, bei Iranern und Germanen war die Literatur von großen kosmischen Visionen geprägt. (Da haben wir das Wort wieder: Das Wort »Vision« ist aus dem lateinischen Verb »video« entstanden.) Außerdem war es in den indogermanischen Kulturen üblich, Bilder und Skulpturen der Götter und der mythischen Ereignisse anzufertigen.
    Schließlich hatten die Indogermanen ein zyklisches Geschichtsbild . Das bedeutet, dass für sie die Geschichte in Kreisen verläuft – oder in »Zyklen« –, genau wie die Jahreszeiten zwischen Sommer und Winter abwechseln. Es gibt also keinen eigentlichen Anfang und kein eigentliches Ende der Geschichte. Oft ist die Rede von verschiedenen Welten, die entstehen und vergehen, im ewigen Wechsel zwischen Geburt und Tod.
    Beide großen östlichen Religionen – Hinduismus und Buddhismus – sind von indogermanischem Ursprung. Das gilt ebenso für die griechische Philosophie und wir sehen viele klare Parallelen zwischen Hinduismus und Buddhismus einerseits und griechischer Philosophie andererseits. Noch heute sind Hinduismus und Buddhismus stark geprägt von philosophischer Reflexion.
    Nicht selten wird im Hinduismus und im Buddhismus betont, dass das Göttliche in allem anwesend sei ( Pantheismus ) und dass der Mensch durch religiöse Einsicht Einheit mit Gott erlangen könne. (Du erinnerst dich doch an Plotin, Sofie!) Dazu ist zumeist starke Selbstvertiefung oder Meditation nötig. Im Osten können deshalb Passivität und Zurückgezogenheit als religiöses Ideal gelten. Auch auf griechischem Boden meinten viele, dass der Mensch ein Leben in Askese – oder religiöser Zurückgezogenheit – leben müsse, um seine Seele zu erlösen. Einige Bestandteile des mittelalterlichen Klosterlebens können auf solche Vorstellungen in der griechisch-römischen Welt zurückgeführt werden.
    In vielen indogermanischen Kulturen war außerdem der Glaube an die Seelenwanderung von großer Bedeutung, so im Hinduismus, wo es das Ziel eines jeden Gläubigen ist, irgendwann von der Seelenwanderung erlöst zu werden. Und wir wissen ja, dass auch Platon an die Seelenwanderung glaubte.
Die Semiten
    Und nun zu den Semiten , Sofie. Jetzt ist die Rede von einem ganz anderen Kulturkreis mit einer ganz anderen Sprache. Ursprünglich stammen die Semiten von der arabischen Halbinsel, aber auch der semitische Kulturkreis hat sich auf weite Teile der Welt ausgedehnt. Seit über zweitausend Jahren leben Juden weit entfernt von ihrem ursprünglichen Vaterland. Am weitesten sind semitische Geschichte und semitische Religion mit dem Christentum von ihren geographischen Wurzeln fortgewandert. Die semitische Kultur ist außerdem durch die Ausbreitung des Islam weit in die ganze Welt transportiert worden.
    Die drei westlichen Religionen – Judentum, Christentum und Islam – haben einen semitischen Hintergrund. Der Koran , die heilige Schrift des Islam und das Alte Testament sind in verwandten semitischen Sprachen verfasst. Eines der Wörter des Alten Testaments für »Gott« hat deshalb dieselbe sprachliche Wurzel wie das Allah der Moslems. (Das Wort »Allah« bedeutet ganz einfach »Gott«.)
    Beim Christentum ist das Bild komplizierter. Auch das Christentum hat natürlich einen semitischen Hintergrund. Aber das Neue Testament wurde auf Griechisch geschrieben und als die christliche Theologie oder Glaubenslehre ausgeformt werden sollte, wurde sie von der griechischen und lateinischen Sprache und damit auch von der hellenistischen Philosophie geprägt.
    Wir haben gehört, dass die Indogermanen an viele verschiedene Götter glaubten. Bei den Semiten verblüfft, dass sie schon recht früh den Glauben an einen einzigen Gott annahmen. Das nennen wir Monotheismus . Im Judentum, Christentum und Islam ist es ein grundlegender Gedanke, dass es nur einen Gott gibt.
    Eine weitere semitische Gemeinsamkeit ist das lineare Geschichtsbild . Darunter verstehen wir, dass die Geschichte als Linie betrachtet wurde. Einst erschuf Gott die Welt und damit begann die Geschichte. Aber eines Tages wird die Geschichte enden, und zwar mit dem »Jüngsten Gericht«, bei dem Gott die Lebenden und die Toten richten wird.
    Ein wichtiger Zug der drei großen westlichen Religionen ist gerade die Rolle der Geschichte. Es geht darum, dass Gott in die Geschichte eingreift – ja, die Geschichte gibt es nur, damit Gott

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