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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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spielt er auf die alten Könige an, die durch ein typisches »Thronbesteigungsritual« inthronisiert wurden. Er lässt sich auch vom Volk salben. »Die Zeit ist erfüllet«, sagt er, »das Reich Gottes ist herbeigekommen.«
    Es ist wichtig, sich dies alles zu merken. Aber jetzt musst du genau aufpassen: Jesus unterschied sich dadurch von anderen, die als Messias auftraten, dass er ganz klar zugab, kein militärischer oder politischer Anführer zu sein. Seine Aufgabe war viel größer. Er verkündete Erlösung und Gottes Vergebung für alle Menschen. Und deshalb konnte er unter den Menschen wandeln und sagen: »Dir sind deine Sünden vergeben.« Das auszusprechen war unerhört. Deshalb dauerte es auch nicht lange, bis sich unter den Schriftgelehrten Proteste gegen Jesus erhoben. Schließlich machten sie sich auch an die Vorbereitungen zu seiner Hinrichtung.
    Ich präzisiere: Viele Menschen zu Jesu Zeit warteten auf einen Messias, der mit Pauken und Trompeten (das heißt, mit Feuer und Schwert) das Reich Gottes wieder errichten sollte. Der Ausdruck »Gottes Reich« zieht sich wie ein roter Faden auch durch Jesu Verkündigung – allerdings mit ungeheuer erweiterter Bedeutung. Jesus erklärte Gottes Reich als Liebe zu den Mitmenschen, Fürsorge für die Schwachen und Vergebung für alle, die gefehlt haben.
    Hier finden wir eine dramatische Verschiebung in der Bedeutung eines alten, halbmilitärischen Ausdrucks. Die Menschen warteten also auf einen Feldherrn, der ein Reich Gottes proklamieren sollte. Und dann kommt Jesus in Kittel und Sandalen und erklärt, Gottes Reich oder der »neue Bund« bedeute: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« Und mehr noch, Sofie. Außerdem hat er gesagt, dass wir unsere Feinde lieben sollen. Wenn sie uns schlagen, sollen wir nicht mit gleicher Münze zurückzahlen, sondern ihnen die andere Wange hinhalten. Und wir sollen vergeben – nicht siebenmal, sondern sieben mal siebzig Mal.
    Auch durch sein eigenes Leben zeigte Jesus, dass er sich nicht zu schade war, mit Huren, korrupten Zöllnern und den politischen Feinden des Volkes zu sprechen. Aber er geht noch weiter: Er sagt, ein Herumtreiber, der sein ganzes Erbe verjubelt hat – oder ein verkommener Zöllner, der Geld unterschlagen hat –, sei vor Gott ein Gerechter, wenn er sich nur an Gott wende und um Vergebung bitte. So großzügig ist Gott in seiner Gnade.
    Aber er geht noch weiter, verstehst du – und jetzt musst du dich festhalten: Jesus sagte, solche »Sünder« seien vor Gott gerechter – und verdienten also seine Vergebung eher – als die tadellosen Pharisäer, die auf ihre eigene Vortrefflichkeit stolz sind.
    Jesus betonte, dass kein Mensch Gottes Gnade verdienen kann. Wir können uns nicht selber erlösen. (Das glaubten viele Griechen!) Wenn Jesus in der Bergpredigt seine strengen ethischen Forderungen stellt, dann nicht nur, weil er Gottes Willen zeigen will. Er will auch zeigen, dass kein Mensch vor Gott gerecht ist. Gottes Gnade ist grenzenlos, aber wir müssen uns mit Gebeten um Vergebung an ihn wenden.
    Weitere Erörterungen der Person Jesu und seiner Verkündigung überlasse ich deinem Religionslehrer. Der hat eine ziemliche Aufgabe. Ich hoffe, er kann euch klarmachen, was Jesus für ein einzigartiger Mensch war. Auf geniale Weise verwendet er die Sprache seiner Zeit und gibt gleichzeitig alten Schlagwörtern einen ungeheuer neuen und erweiterten Inhalt. Kein Wunder, dass er am Kreuz geendet ist. Seine radikale Erlösungsbotschaft bedrohte so viele Interessen und Machtpositionen, dass er aus dem Weg geräumt werden musste.
    Am Fall des Sokrates haben wir gesehen, wie gefährlich es sein kann, an die Vernunft der Menschen zu appellieren. Bei Jesus sehen wir, wie gefährlich es sein kann, eine bedingungslose Nächstenliebe und eine ebenso bedingungslose Vergebung zu fordern. Noch heute sehen wir, wie mächtige Staaten in allen Fugen ächzen können, wenn sie vor schlichte Forderungen nach Friede, Liebe, Essen für die Armen und Vergebung für die Staatsfeinde gestellt werden.
    Du weißt noch, wie verärgert Platon darüber war, dass der gerechteste Mensch Athens mit seinem Leben büßen musste. Dem Christentum zufolge ist Jesus der einzige gerechte Mensch, der je gelebt hat. Dennoch wurde er zum Tode verurteilt. Dem Christentum zufolge starb er um der Menschen willen. Und das wird oft als Jesu »stellvertretendes Leiden« bezeichnet. Jesus war der »leidende Diener«, der die Schuld aller Menschen auf

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