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Sog des Grauens

Titel: Sog des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bagley Desmond
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rannten hin und her, anscheinend ohne Sinn und Zweck. Ein Mann, den Causton bemerkte, wechselte seine Richtung sechsmal in ebensoviel Minuten und rannte immer wieder an Causton vorbei, bevor er in der Menge verschwand. Er traf ein junges Mädchen in einem roten Kleid, das in der Mitte der Straße stand, sich mit beiden Händen die Ohren zuhielt und unablässig schrie. Er hörte ihre Schreie noch lange, während er sich durch all dieses Elend vorwärts kämpfte.
    Er beschloß schließlich, in eine Seitenstraße zu gehen, um aus dem Gedränge herauszukommen, und deshalb drängte er sich an die Seite und bog an der nächsten Ecke ab. Hier war das Gedränge nicht so groß, und er kam schneller voran, etwas, das er sich im Geist vormerkte für ihre geplante Fahrt mit dem Auto. Bald kam er zu einem jungen Soldaten, der auf einer Apfelsinenkiste saß. Das Gewehr hatte er an die Seite gelehnt, und ein Ärmel seiner Bluse flatterte lose. Causton blieb stehen und fragte: »Haben Sie einen Arm gebrochen?«
    Der junge Mann sah ihn verständnislos an. Sein Gesicht war grau vor Erschöpfung. Causton tippte an seinen eigenen Arm. »Le bras«, sagte er und machte dann eine schnelle Bewegung, wie wenn er einen Stock über seinem Knie zerbrechen wollte. »Gebrochen?«
    Der Soldat nickte stumpfsinnig.
    »Ich werde ihn schienen«, sagte Causton, beugte sich hinab und half dem Soldaten, seine Uniformbluse auszuziehen. Er trat die Apfelsinenkiste entzwei, um Leisten zum Schienen zu erhalten, und band den Arm dann daran fest. »Es wird jetzt bessergehen«, sagte er und ging. Aber er ging mit der Bluse und dem Gewehr des Mannes – jetzt hatte er seine Staffage.
    Die Bluse war ihm zu eng, deshalb trug er sie offen; die Hose paßte nicht dazu, und er hatte keine Mütze, aber er glaubte nicht, daß das was ausmachte – es kam nur darauf an, daß er so ungefähr wie ein Soldat aussah und daher einen ›Besitzanteil‹ am Krieg hatte. Er hob das Gewehr, öffnete das Schloß und fand das Magazin leer. Er lächelte nachdenklich. Auch das machte nichts; er hatte noch nie in seinem Leben einen Menschen erschossen und hatte auch nicht die Absicht, jetzt damit zu beginnen.
    Auf Umwegen, die er sorgfältig in seiner Karte markierte, gelangte er nach einiger Zeit an den Ostausgang der Stadt an der Küstenstraße. Er stellte erleichtert fest, daß das Gedränge hier nicht so groß war und daß die Leute etwas ruhiger wirkten. Auf der Straße bewegte sich ein dünner Strom von Menschen aus der Stadt hinaus, ein Strom, der sich später zu einer Sturzflut verstärken würde. Je eher er Rawsthorne mit dem Wagen auf den Weg bringen könnte, desto besser würde es für alle Beteiligten sein, also kehrte er um. Ein Blick auf seine Uhr sagte ihm, daß es später war, als er gedacht hatte.
    Jetzt bewegte er sich gegen den Strom, und es war schwieriger voranzukommen und würde in der Nähe des aufgescheuchten Stadtzentrums sogar noch schwieriger werden. Weit voraus sah er den Qualm, der sich am Himmel über dem Stadtkern ausbreitete – die Stadt begann zu brennen. Sie würde nicht lange brennen, dachte er. Nicht wenn Wyatt recht hatte.
    Er schob sich weiter in das Chaos von St. Pierre hinein, stieß gegen Leiber, die sich gegen ihn stemmten, und benutzte rücksichtslos den Gewehrkolben, um sich den Weg frei zu machen. Einmal traf er einen Soldaten, der sich den Weg freikämpfte, und sie standen einander gegenüber. Causton drehte das Gewehr um, betätigte das Schloß, daß es scharf klickte, und dachte, was tue ich bloß, wenn er diesen Wink nicht versteht? Der Soldat sah nervös auf die Gewehrmündung, die auf seinen Bauch zeigte, machte einen halbherzigen Versuch, sein eigenes Gewehr zu heben, überlegte es sich dann aber anders, zog sich zurück und tauchte in der Menge unter. Causton grinste und setzte seinen Weg fort.
    Er war schon nicht mehr weit vom Imperiale, als das Gedränge so groß wurde, daß er nicht mehr vorankam. Jesus! dachte er; wir stehen hier auf dem Präsentierteller. Er versuchte zurückzugehen, aber das stellte sich als ebenso schwierig heraus – irgendwas schien die Menge aufzuhalten, etwas Unbewegliches.
    Er entdeckte, was es war, als er sich weit genug nach rückwärts durchgekämpft hatte, bis fast an die Ecke der Straße. Eine Militäreinheit war aus einer Seitenstraße gekommen und hatte eine Absperrkette über die Hauptstraße gebildet. Die Menge wurde mit der Waffe im Anschlag gestoppt. Männer wurden herausgeholt und auf

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