Sohn Der Nacht
Nähe plötzlich das scharfe Geräusch eines Stuhls, der über den Boden geschoben wird. Der Tisch mit dem lautstarken Quartett hatte sich verabschie det, wie sie sah, und der Mann dahinter blickte noch immer aus den Fenstern der Cafeteria hinaus. Hinter ihm räumte ein Junge das schmutzige Geschirr weg. Das Geräusch mußte von dort hergekommen sein. Niemand schien nahe genug,
um sie zu belauschen, aber ihre Paranoia kam wieder hoch wie ein Lichtblitz des Unwohlseins. Sie beugte sich zu Art hinüber und sagte mit leiser Stimme: »Ich habe es noch nicht geschafft, hinter das Geheimnis der Membrane zu kommen«, sagte sie. »Sie widersteht weiter allen Reagenzien. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Was machen denn deine Nachfor schungen?«
Art schüttelte den Kopf. »Wenn irgend jemand früher je Blut wie dieses gesehen hat, dann habe ich den Bericht dar über entweder noch nicht gefunden, oder diejenigen haben nichts darüber geschrieben. Ich suche aber weiter.«
»Gut.« Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Bist du soweit, wieder zurückzugehen?«
»Ah ... falls du mich brauchst, sicher. Ich habe noch eine ganze Tonne voll Krankenberichte, mit denen ich mich beschäftigen muß, aber ich könnte später am Abend ...«
Katie war eine Sekunde lang verwirrt; jeder Praktikant hatte tonnenweise Krankenberichte, mit denen er sich beschäftigen mußte. Dann wurde ihr klar, daß er trotz seines gelassenen Äußeren innerlich doch vor Pein brennen mußte. Er könnte jetzt direkt ein wenig freie Zeit irgendwo brauchen. Und das letzte, das er jetzt würde haben wollen, war auch nur der kleinste Hauch von Mitleid.
»Okay«, sagte sie munter. »Wir sehen uns dann später.«
Als sie wieder zurück in der hämatologischen Abteilung war, schloß sie die Tür zu ihrem Büro auf und nahm ein fri sches Tagebuch zur Hand. Es war bestimmt eine gute Idee, sich von allem Anfang an Notizen über Jennys Blut zu machen. Als sie gerade ins Labor gehen wollte, um zu sehen, ob Jennys Blut auf dem Objektträger getrocknet war, klingelte das Telefon auf ihrem Schreibtisch. Sie nahm den Hörer auf. »O'Keefe.«
»Katie?«
Die Stimme ihrer Mutter klang so angespannt, daß Katie sie fast nicht erkannt hätte. Ihre Hand schloß sich um das Tele fon. Mom rief sie selten im Hospital an - und niemals nur zu
einem kleinen Schwätzchen. War Gregory etwa krank? »Was ist denn, was ist los?«
»Ich bin nicht sicher. Ich habe ein Geräusch in der Speise kammer gehört und fand einen Vogel, der dort drinnen herumflog. Irgend jemand hat ein Stück Glas aus der Fenster scheibe geschnitten und ein perfekt rundes Loch zurückgelas sen ...«
Katie spürte, wie ihr plötzlich kalt wurde. »Ist Gregory et wa ...«
»Ihm geht es gut. Die Gitterstäbe sehen stark aus. Ich kann nicht erkennen, wie irgend jemand hereingekommen sein könnte. Das ist sehr seltsam ...«
»Ich komme sofort nach Hause.« Katie hängte ein und blieb dann stehen und versuchte, sich zu entscheiden, ob sie vielleicht Merrick anrufen sollte ...
Und dann wurde der Raum um sie herum grau und ver schwand im Nichts ...
Sie hörte ein fremdartiges, wummerndes Geräusch in den Ohren. Ihre Kehle wurde staubtrocken. Als sie zu schlucken versuchte, merkte sie, daß ihr Nacken nach hinten gebogen war und daß ihr Kopf über der Rückenlehne des Stuhls hing. Das rhythmische Geräusch schwand langsam dahin und wurde zu einem ständigen Pulsschlag ihres Blutes gegen die Trommelfelle.
»Setzen Sie sich hin«, sagte eine tiefe Stimme.
Mühsam brachte sie den Kopf nach vorn und hob die her unterhängenden Arme hoch. Sie merkte, daß sie ausgestreckt in ihrem Schreibtischstuhl lag. Ich muß irgendwie ohnmäch tig geworden sein, dachte sie. Ich habe diesen Anruf von Mom bekommen und wollte gerade gehen, und ...?
Ganz dumpf spürte sie sich alarmiert und wollte aufste hen; eine Hand auf ihrer Schulter stieß sie wieder nach unten. Sie wandte sich im Stuhl, aber sie konnte niemanden hinter sich sehen.
»Doktor, ich will die Blutzellen haben.«
Sie konnte hören, woher die Stimme kam - von einer Stelle
hinter ihr, hoch oben auf ihrem Bücherbord. Ihr Herz hüpfte
und begann zu hämmern. Das ist er! konstatierte sie, derselbe Mann, den ich am Telefon gehört habe - der, der mir gesagt hat, irgend jemand beobachte mein Haus.
»Die Blutzellen, Mrs. O'Keefe.«
»Ich ... ich verstehe nicht. Ich kann Sie nicht sehen. Wo sind Sie?«
»Sie verstehen sehr wohl. Ich habe Sie gerade in der Cafe teria
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