Sohn Der Nacht
durch den Nieselregen in Richtung des Eingangs. Als Ann Hrluska auf ihrem Weg vom Parkplatz an ihm vorbeikam, sah Merrick einen Schimmer von Tränen auf ihren Wangen, der irgendwie zu ihrem Lächeln paßte. Welch wunderbares Gefühl mußte ihr dieser Augenblick schenken. Noch vor einer Woche mußte die Vorstellung, daß sie eines
Tages ihre Tochter wieder zur Schule bringen könnte, ihr völ lig abwegig erschienen sein. Sollte ich überleben, werde ich mein Bestes tun, um Jenny zu retten, schwor er sich im stillen.
Er blieb auf dem Parkplatz sitzen und beobachtete den ganzen Morgen die Spielfelder ringsum, während der Niesel regen langsam aufhörte, die grauen Wolken verschwanden und die Sonne so warm schien, als wäre es später Mai und nicht noch April. Zur Mittagszeit strömten Hunderte von Kindern hinaus auf die Sportplätze. Merrick stieg aus und ging zu der schwarzbeflaggten Durchfahrt, die die Spielfelder von der Rückseite der Schule trennten. Einen Moment später entdeckte er Jenny in einer Horde von Kindern, die über die Straße tobte. Sie und zwei andere Mädchen lösten sich aus der Gruppe und liefen zu den nicht überdachten Tribünen eines Softball-Spielfeldes, holten ihre Butterbrote aus den Taschen und sahen einer Gruppe Jungen und ein paar Mädchen zu, die gerade ein Spiel begannen. Einer der Spieler beging ein Foul und schlug den Ball so, daß er direkt auf Jenny zuflog. Sie langte einem Reflex gehorchend nach oben und fing den Ball mit bloßen Händen. Merrick konnte das Klatschen deut lich bis über die Straße herüber hören. Die beiden Mädchen, die mit Jenny zusammen gekommen waren, schreckten zurück und klatschten dann Beifall, als sie sahen, wie fit Jenny schon wieder war. Einige der Jungen auf dem Spielfeld starr ten Jenny an. Sie stand auf und schleuderte den Ball zum Fän ger zurück, eine sengende Rakete, die mit lautem Klatschen aus seinem Handschuh zurücksprang. Noch mehr Jungen starrten herüber. Die beiden Mädchen neben Jenny zogen vol ler Freude an ihren Armen und klopften ihr auf die Schulter. Sie schüttelte sie ab und beugte sich wieder über ihren Lunch, und Merrick wußte genau, was sie dachte. Wie kann ich dos nur tun?
Eine Minute später verließ sie die Mädchen und ging an der Seitenlinie entlang von den spielenden Kindern weg. Merrick lief ihr nach. »Hi«, sagte er, als er sie eingeholt hatte.
Sie wandte sich um, und ihr niedergedrückter Gesichtsaus druck verschwand und machte einem breiten Lächeln Platz. »Detective Chapman!«
»Ich dachte mir, ich komme mal vorbei und sehe nach, wie es dir so geht.«
Sie legte den Kopf zu Seite. »Hat Mom Ihnen erzählt, daß ich hier bin?«
»Nein.«
»Woher wußten Sie es dann?« Ihre Stimme klang ein biß chen mißtrauisch, und er wußte, das war das Gen, die Instinkte der Paranoia, die sie für den Rest ihres langen Lebens brauchen würde, wenn sie sich unentdeckt unter ihren Beuteobjekten bewegen wollte.
»Ich bin bei euch zu Hause vorbeigefahren und habe dich heute morgen gesehen«, erläuterte er, »und du bist auf deinem Weg zur Schule an mir vorbeigekommen, und deshalb beschloß ich, zur Mittagszeit vorbeizukommen um zu sehen, wie es dir geht.«
»Es ist wundervoll, Sie zu sehen«, sagte sie. »Möchten Sie einen Keks?«
»Sicher.« Merrick aß mit zur Schau gestelltem Appetit, aber sein Magen war wie verknotet. Angestrengt suchte er nach den rechten Worten. »Du siehst wirklich besser aus.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Ist das nicht komisch? Ich lag schon im Sterben, und dann habe ich es ganz plötzlich überstan den.«
Ihre Augen blickten besorgt drein.
»Dann ist doch alles in bester Ordnung, oder?«
Sie lachte kurz. »Richtig.«
»Machst du eine harte Zeit durch?«
Sie blickte ihn an. »Warum sagen Sie das?«
Merrick blieb stehen. Sie blieb ebenfalls stehen und wandte sich ihm zu. »Ich habe dir das nie erzählt, wenn ich dich besucht habe«, sagte er, »aber auch ich hatte einmal Leuk ämie. Dieselbe Art, die du auch hattest.«
Sie runzelte die Stirn. »Verrückt.«
»Was ist verrückt?«
»Vor zwei Nächten hatte ich einen Traum. Ein Mann, der ziemlich genauso aussah wie Sie, kam in mein Zimmer und erzählte mir dasselbe, was Sie gerade gesagt haben. Ich dachte, Sie seien es, aber er sagte, er sei es nicht.«
Zane. »Hast du noch andere Träume gehabt?«
Sie wandte das Gesicht zur Seite.
»Es sind schlimme Träume, nicht wahr, Jenny? Du träumst davon, daß du Leute umbringst. In deinen
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