Sohn Der Nacht
liebt dich, und er liebt sei nen Sohn ...«
»Mom, bitte. Ich muß jetzt gehen. Versprich mir, daß du ihn nicht an Gregory heranläßt.«
»Ich bin sicher, dazu kommt es erst gar nicht. Aber wenn doch, werde ich tun, was du sagst.«
»Vielen Dank. Ich liebe dich.«
»O Katie ... ich liebe dich auch ...«
Katie hängte ein und stählte sich für den nächsten Anruf,
den sie jetzt tätigen mußte, den mit Jennys Eltern. Was würde sie in Jennys Haus vorfinden? Katies Hand schloß sich um die Spritze in ihrer Tasche. Was, wenn Art recht hatte und der Kil ler war dort?
Was, wenn es Merrick war?
Ich muß ihn aufhalten, dachte sie. Was immer, wer immer er ist.
Die Sonne ging gerade unter, als Merrick seinen Freund aus dem Gewölbe heraustrug. Der sterbende Sauger war leicht wie ein Vogel; seine Beine fühlten sich dünn wie Streichhölzer an, und sein Rückgrat war knochig und gezackt wie ein Gebirgsgrat. Doch als sich sein Gesicht über die Tür der Falle erhob und er den prächtigen roten und goldenen Himmel über der kleinen Lichtung sah, lächelte er wie ein verhungern des Kind beim Anblick einer Schüssel Reis. Seine Lungen ras selten, als er die feuchte Frühlingsluft einatmete. Die Luft war warm und mild, aber Sandeman hatte kein Fett mehr am Kör per, und er begann zu zittern.
»Ich habe eine Decke im Kofferraum«, sagte Merrick.
»Nein, nein. Ich möchte die Luft auf meiner Haut spüren.«
Als der dünne Körper in seinen Armen zitterte, spürte Merrick, wie seine Kehle trocken wurde. Er wollte zum Him mel schreien, zum Schicksal, zu welchem Gott auch immer, der Sandeman zu diesem Leben in Folter verdammt hatte.
»Es ist wunderschön«, flüsterte Sandeman. »Ich habe fast eine halbe Million Sonnenuntergänge erlebt, aber dieser ist der schönste.«
Merrick nickte und wagte nicht zu sprechen. Er trug Sandeman durch den langsam im Dunkel versinkenden Wald zu seinem Wagen. Ein Ziegenmelker zwitscherte in einem nahe gelegenen Baumwipfel, ein süßer Schrei, die Nacht zu begrüßen, und Sandeman grinste vor Vergnügen. »Er fliegt jetzt aus zur Jagd.«
»Ja.«
»Kannst du es spüren, Merrick? Wie das Leben rings um dich pulsiert?«
Merrick nickte wieder, obwohl er weiter nichts für seinen Freund empfinden konnte als Pein. Er schob Sandemans ske lettartigen Körper auf den Beifahrersitz und schwang sich hinter das Steuerrad.
»Öffne mir bitte mein Fenster.«
Merrick startete den Motor und ließ Sandemans Fenster halb herunter. Als der Wagen sich in Bewegung setzte, stützte Sandeman seine Stirn gegen das Glas und blickte mit weit geöffneten Augen und flatternden Nasenflügeln hinaus. Sein Lächeln vertiefte sich und wurde wieder flacher, und dann und wann verstärkte es sich zu einem Grinsen, aber nie verschwand es ganz. Sein unbeschwertes Vergnügen versetzte Merrick einen Stich. Uralt, wie er war, war Sandeman noch nicht bereit, sein Leben zu beenden.
Merrick parkte seinen Wagen am Rand einer größeren Landstraße in der Nähe von Jennys Haus, an einer anderen Stelle als beim letzten Mal. Dann trug er Sandeman durch den Wald bis hinter Jennys Haus, wobei er die Augen stets auf das schwache Licht aus dem rückwärtigen Fenster gerichtet hielt, das durch die knospenden Bäume schim merte. Als sie sich dem Haus näherten, fing der Hund im Hinterhof an zu bellen, und Merrick versenkte ihn in Schlaf. Er umrundete die Rückseite des Hauses und ließ sich an einer Reihe Ahorn- und Forsythienbüsche nieder, die Jennys Grundstück vom nächsten Haus die Straße hinunter trennte. Als Merrick ihn vorsichtig auf den Boden absetzte, strich Sandemans skelettierte Hand prüfend durch die Blätter des letzten Herbstes und streichelte sie, wie ein Mann seine Geliebte berühren würde.
»Ein guter Ort«, flüsterte Sandeman. »Von hier aus können wir jeden sehen, der hereinkommt, vorne oder hinten.«
»Ja.« Er genießt die Jagd, dachte Merrick - seine letzte. Er ließ sich neben Sandeman im Laub nieder; einen Augenblick später spürte er, wie die Hand des Saugers sein Handgelenk
drückte. »Was auch geschieht, Merrick, ich danke dir, daß du mir geholfen hast.«
»Ich habe dich vor der Welt weggeschlossen«, sagte Merrick bitter. »Ich war dein Gefängniswärter.«
Sandemans zarter Griff verstärkte sich einen Augenblick lang. »Jene Freunde, die du hattest und deren Gesellschaft du suchtest, umfasse sie bei ihrer Seele mit Haken aus Stahl.«
»Hamlet?«
Sandeman gluckste leise..»Ich vergaß - du
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