Sohn Der Nacht
die Probe der medizinisch-technischen Assistentin übergab, versuchte sie, ein wenig Optimismus zu verbreiten, aber das fiel ihr immer schwerer. Der Alte rungsprozeß verwüstete jede Zelle in Rebeccas Körper. Das auslösende Moment war ohne Zweifel ein defektes Gen. Aber genauso sicher war, daß es auch mit Rebeccas Blut zu tun hatte. Blut durchströmte jede Zelle, brachte Nährstoffe mit sich und spülte die Rückstände weg. Blut war der Strom des Lebens in jedem Körper - und der des Todes. Katie war davon überzeugt, daß irgendwo in diesem großen Strom Hinweise zu finden waren, was Rebecca tötete - vielleicht das tödliche Agens selbst. Es nachzuweisen war höllisch schwierig. Wenn sie in der Lage gewesen wäre, einer Ratte Rebeccas unverfälschtes Blut zu injizieren und dieses Blut dann schnelles Altern bewirkte, dann würde das beweisen, daß sie auf der richtigen Spur war, selbst wenn sie dann noch nicht wußte, welcher Faktor in diesem Blut dafür verantwortlich war. Unglücklicherweise aber würden Injektio nen des kompletten Blutes in eine Ratte, selbst dann, wenn das Blut von einer gesunden Person stammte, auf der Stelle so schwerwiegende toxische Effekte zeitigen, daß sie jegli chen Effekt eines Alterungsprozesses überdecken würden. Katie mußte also statt dessen einen sehr arbeitsintensiven Prozeß mit vielen Einzelschritten einleiten. Zuerst würde sie einen biochemisch einfachen Teilbereich von gesundem Blut
herstellen und sicherstellen, daß dieser keine toxischen Effekte bewirkte, wenn man ihn einer Ratte injizierte. Dann würde sie denselben einfachen Extrakt aus Rebeccas Blut herstellen und diesen in eine andere Ratte injizieren. Diese Ratte würde sie dann zehn Tage lang beobachten. Wenn in den ersten beiden Tagen nichts passierte, würde sie diesen Prozeß mit einer anderen Ratte aufs neue beginnen. Selbst wenn man auf diese Weise mehrere Versuchsreihen parallel anlegte, war es doch ein langsamer, zeitaufwendiger Prozeß. Bisher hatte sie auf diese Weise sechs verschiedene Teilberei che von Rebeccas Blut untersucht.
Vielleicht wurde dieser siebente ein Erfolg. Welch phanta stischer Durchbruch wäre das. Dann könnte sie darangehen, ein Dialysegerät zu modifizieren, um Probe Nummer sieben aus Rebeccas Blut zu isolieren.
Auf ihrem Weg zurück ins Labor fragte Katie sich zum
sicher hundertsten Mal, ob sie wirklich so viel Zeit und Ener gie auf die Progerie verwenden sollte. Dieses Leiden war so
selten, daß die meisten Ärzte in ihrer ganzen Karriere nicht einen einzigen Fall dieser Art zu sehen bekamen. Vielleicht
sollte sie besser nach einem Mittel gegen die Anämie oder die Leukämie suchen - Krankheiten, die Zehntausende mehr Leben forderten als die Progerie ...
Doch wenn sie dann an Rebecca dachte, wie sie auf ihrem Bett saß, eine liebenswerte alte Lady von neun Jahren, die gegen die Anzeichen des Alterns auf die einzige Weise kämpfte, die sie kannte - mit rotem Nagellack -, reifte in Katie die Entschlossenheit. Rebecca wird nicht sterben, dachte sie starrköpfig. Nicht, wenn ich es verhindern kann.
Als Katie endlich in das Forschungslabor kam, war es fast vier Uhr. Art Stratton saß bereits da, die Füße lässig auf dem Tisch. Er blickte bedeutungsvoll auf seine Uhr.
»Sie sind ja auch erst gerade die Treppe hinuntergerannt«, sagte sie.
Er bedachte sie mit einem verwirrten Stirnrunzeln. »Woher wissen Sie das?«
»Mal abgesehen von der Tatsache, daß Sie sich bemühen, nicht zu keuchen - wenn Sie länger als fünf Minuten hier wären, wären Sie doch längst wieder eingeschlafen.«
»Wie gewohnt, Sherlock Holmes, Sie setzen mich in Erstau nen.«
»Vielen Dank, Dr. Watson.«
Art bedachte sie mit seinem trägen Lächeln unter halb heruntergelassenen Lidern, und ihr fiel ein, daß er nie müde aus sah, denn seine Lider waren ohnehin nie weiter als bis zur Hälfte geöffnet. Der entspannt wirkende Blick war ein Aktiv posten im Umgang mit schwierigen Patienten - solange er nicht lernte, auch noch mit offenen Augen zu schlafen. Sie hatte Praktikanten erlebt, denen das gelang.
»Was also ist das große Geheimnis?« fragte Art.
Katie erzählte ihm von ihrer Kühlpackung mit den Blut zellen. Als sie fertig war, saß er aufrecht da, einen faszinierten Ausdruck auf dem Gesicht. »Blutzellen können tagelang offen herumliegen, ohne zu verderben? Das muß ich sehen.«
»Das sollen Sie auch.« Katie nahm die Kühlpackung aus dem Kühlschrank des Laboratoriums und war erleichtert,
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