Sohn Der Nacht
schütten. Aber er hatte es getan.
Zane spürte einen wilden Stolz. Ich bin jetzt so stark wie du, Vater. Sogar stärker ...
Er versteifte sich, als Merrick sich in seinem Stuhl umwandte und sich im Cafe umsah. Merricks Augen konzen trierten sich auf ihn, und Zane fühlte, wie er innerlich zu Eis erstarrte. Er blickte auf den Tisch hinunter und verhielt sich äußerst still. Die alte Haut und das weiße Haar, die noch vor einem Augenblick eine so narrensichere Tarnung zu sein schienen, fühlten sich plötzlich schrecklich durchsichtig an. Eine einzige Bewegung konnte ihn verraten - eine Handbe wegung, eine bestimmte Art, den Kopf zur Seite zu legen, der er sich vielleicht gar nicht bewußt war, die sein Vater aber wie dererkennen würde. Die Zeit schien stillzustehen. Unfähig, die Spannung noch länger zu ertragen, blickte Zane auf und stellte fest, daß Merrick ihn nicht mehr ansah. Er sprach wie der mit der Frau. Unendliche Erleichterung überkam Zane, so
daß er am liebsten gelacht hätte. Er hat mich direkt angesehen und mich nicht erkannt.
Und ich hatte Angst.
Zane preßte die Zähne aufeinander. Er mußte besser wer den. Er hatte nicht wie ein Jäger gehandelt, sondern wie ein Beutestück. Unter den gegebenen Umständen war es richtig gewesen, sich nicht zu bewegen, aber die Angst mußte verschwinden. Furcht vergiftete den Scharfsinn und lähmte die Muskeln. Solange er die Furcht nicht bezwingen konnte, bestand keinerlei Hoffnung, den Vater zu fassen ...
Und solch negative Gedanken mußten ebenfalls gebannt werden. Selbstzweifel war genauso gefährlich wie Furcht. Ich bin stark, dachte Zane. Stark genug, nicht zu trinken, und mutig genug, ihr Blut auf den Wasserspeier zu schmieren. Da ich aussehe wie ein alter Mann, konnte ich ganz einfach still und leise in die Stadt gelangen und Merrick beobachten, wie ich wollte.
Zane fühlte sein Selbstvertrauen steigen. Ich habe aufgehört davonzurennen. Ich bin zurück. Und diesmal werde ich das bessere Ende für mich haben.
Die Frau lachte über eine Bemerkung von Merrick. Zane spürte einen verwirrenden Hang zur Neugier. Sie war hübsch. In welcher Verbindung stand sie zu dem alten Bastard? Waren sie und Vater einfach Freunde oder etwas mehr? Gerade eben noch hatte sie kurz nach seiner Hand gefaßt, aber das konnte Vertrautheit bedeuten, Bestätigung, sogar Aggression. Zane wünschte sich plötzlich, er könnte sie hören, aber sie sprachen zu leise, und der Blutentzug der letzten sechs Monate hatte sein feines Gehör so sehr geschwächt, daß es jetzt kaum besser war als das eines gewöhnlichen Sterblichen. Obwohl ihre Gesichter verschlossen waren, schienen sie doch angespannt. Zweideutig. Sie konnten Kose namen flüstern oder streiten und ihre Stimmen dabei dämp fen, weil sie keine Szene machen wollten. Es gibt so vieles, was ich von den Normalen nicht weiß. Alles, was ich bisher von ihnen zu wissen nötig hatte, war, wie ich sie allein zufassen bekam.
Zane beobachtete Merrick und die Frau; versuchte das Ver hältnis der beiden zueinander zu ergründen. Jetzt lehnte Vater sich in seinem Stuhl zurück und hörte ihr zu. Seine Augen waren immer auf ihr Gesicht gerichtet. Es gab da eine fremdartige Intensität. Er findet sie attraktiv, dachte Zane.
Sollte er gar in sie verliebt sein?
Zane fühlte eine so intensive Erregung, daß es ihm gera dezu körperlich in der Kehle weh tat. Liebe, o ja, Liebe, das Herzstück von Vaters Wahn, die Seele seines Verrats - beson ders die romantische Liebe. Jahrhundert für Jahrhundert ver liebte er sich immer wieder in die normalen Frauen. Daß er sein Herz und seine Seele immer wieder an eine Frau gab, das war der wichtigste Grund dafür, daß Vater sich gegen die eigene Art gewandt hatte. Wie konnte er auch nur daran denken, eines dieser Schafe zu lieben, während er die eigene Art jagte? Judas, dachte Zane. Ein König unter den Saugern. Du solltest das größte, das schrecklichste Raubtier sein, das die Welt je kennengelernt hat. Statt dessen pervertierst du und verrätst deine eigene Art.
Zane beobachtete, wie Merrick die Kellnerin heranwinkte, den Kaffee bezahlte und die Frau aus dem Cafe begleitete. Das Paar eilte die Straße hinauf zu der Stelle, wo sie geparkt hatten. Zane warf einen Fünfer auf seinen Tisch und ging zu seinem eigenen Wagen auf der anderen Straßenseite. Es gab keinen Grund zur Eile - es war eine Einbahnstraße, und sie würden an ihm vorbeikommen müssen. Er stieg in den gemieteten Nissan, ließ
Weitere Kostenlose Bücher