Sohn Der Nacht
den Motor an und beobachtete dann im Rückspiegel, wie Merricks nicht als Polizeifahrzeug gekennzeichneter Kreuzer vorbeifuhr. Er setzte aus der Park lücke heraus und folgte ihnen. Würde Merrick die Frau jetzt zu sich nach Hause mitnehmen?
Nein, er fuhr von der Wisconsin herunter in das Wohnvier tel von Georgetown. Nach nur wenigen Blocks hielt Merrick vor einem zweistöckigen Backsteinhaus mit einem kleinen Vorgarten und einem größeren, eingezäunten Hinterhof vol ler großer skelettierter Eichen und kleiner Ahornbäume an.
Merrick begleitete die Frau bis zu ihrer Tür, gab ihr einen schnellen Kuß auf die Wange und eilte dann zu seinem Wagen zurück.
Zeit der Entscheidung: weiterhin Vater folgen oder hierbleiben und versuchen, mehr über diese Frau zu erfah ren? Der Kuß beschäftigte Zanes Geist. Schnell, aber alles andere als oberflächlich. Ich weiß, wo Merrick lebt, dachte Zane. Ich kann mich dort später wieder auf seine Fersen set zen.
Zane beobachtete, wie Merricks Wagen davonfuhr. Er saß in den tiefer werdenden Schatten, während die Straßenlaternen aufflammten und die Gäßchen zwischen den Häusern in der Dunkelheit versanken. Geduldig wartete er bis halb elf, dann stieg er aus und untersuchte die eng beieinander stehen den Häuser, wobei er in jedes erleuchtete Fenster hineinblickte. Er konnte niemanden sehen, der zu ihm herausgeschaut hätte. Er schlüpfte zwischen das Haus der Frau und das Nachbarhaus, umrundete es und tauchte in ihrem Hinter hof wieder auf, wo der dicke Stamm einer Eiche gute Deckung gab. Eine schnelle Untersuchung der Rückwand offenbarte ein offenes Fenster weiter oben. Und das Haus bestand aus Backsteinen.
Zane lächelte. Was konnte einfacher sein?
Er startete die Wand hinauf, wobei er mit Leichtigkeit die Finger- und Zehenspitzen in die Mörtelfugen drückte. Doch schon nach wenigen Fuß Höhe spürte er die Anstrengung in den Armen. Er verfluchte seine Schwäche und arbeitete sich weiter die Wand empor, wobei er es allerdings etwas langsamer angehen ließ. Als er das Fenster erreicht hatte, schwitzte er bereits aus allen Poren.
Er kroch durch ein Badezimmer - schwarze und weiße Fliesen, ein kleines Waschbecken, der Geruch nach Seife und feuchten Handtüchern. Die Frau mußte geduscht haben. Zane hielt ein Handtuch gegen sein Gesicht, roch sie, ein angenehmer Duft, wie Klee. Er strich mit der Hand über den Duschvorhang, der in die Wanne hinunterhing. Tigerlilien
marschierten über das Plastik. Ein Tropfen schlug stetig gegen den Abfluß. Die feuchte, intime Wärme des Zimmers gefiel ihm, und er beschloß, hier einen Augenblick zu warten und zu lauschen. Von unten her klangen feine Geräusche. Zwei Frauen unterhielten sich. Die Stimmen verharrten am selben Ort. Er konnte sich umsehen.
Außerhalb des Bades war die erste Tür in einem engen, dunklen Flur geöffnet. Drinnen fand er ein kleines Arbeitszim mer, das beherrscht wurde von einem Schreibsekretär, der mit Papieren übersät war. An der Wand hingen mehrere einge rahmte Urkunden - ein medizinischer Grad und, direkt dane ben ein offizielles Zertifikat: Dr. Mary Katherine O'Keefe ...
Hämatologin?
Zane starrte erstaunt auf das Dokument. Das machte doch überhaupt keinen Sinn. Warum sollte Merrick etwas mit einem Blutdoktor zu tun haben?
Als Zane sich umwandte, quietschte unter seinem Fuß eine Bohle. Er hielt inne und lauschte. Unten verstummte das Stimmengemurmel. Schritte erklangen auf der Treppe. Zane zog sich ans andere Ende des Zimmers zurück und benutzte dabei die alten Fußbodenbretter, wobei er sich ganz eng an die Wand drückte. Eine Frau erschien in der Tür, nicht Merricks Begleiterin, eine ältere. Gut gekleidet, Energie verra tende Gesichtszüge. Zane beobachtete ihre Augen und verengte ihre retinalen Kapillaren genau dort, wohin sein Bild fiel. Ihr Blick ging über ihn hinweg, zögerte und kehrte mit einem Blinzeln zurück. Zane verspürte eine leichte Unsicher heit, doch dann erinnerte er sich daran, daß nur ein anderer Blutsauger den >Einfluß< entdecken und bezwingen konnte. Normale konnten verschwommene Eindrücke oder auch kurz eine leere Stelle erkennen, während das Hirn darum kämpfte, diese Stelle mit Eindrücken aus der Umgebung auf zufüllen, aber sie hatten keine Möglichkeit zu wissen, was wirklich mit ihnen passierte. Er war in diesen Tagen nicht recht in Form, das war alles. Sobald er erst wieder Nahrung aufgenommen hatte ...
Die Frau hob die Schultern und ging wieder aus dem
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