Sohn Der Nacht
Es klang so, als würde der Mann aus einem offenen Fenster hinausrufen. Das wäre ideal für Zanes Absichten.
Er öffnete die Tür und schob den schlafenden Hund beiseite. Dann ging er an der Rückseite des Hauses entlang auf das Licht zu, das aus dem Küchenfenster im Erdgeschoß drang. Er war angespannt und voller Erregung. Direkt vor dem Fenster blieb er stehen und blickte hinein.
Und da war sie! Ann und ihr Ehemann James saßen an einem Tisch. James blickte kurz in seine Richtung - eine durchaus gewohnte prävisuelle Reaktion - dann wieder auf
seine Hände hinunter. In den letzten zwölf Jahren hatte der Mann einen ordentlichen Wanst bekommen und eine Menge Haare verloren. Ann hatte sich fast gar nicht verändert. Die feingliedrige Schönheit von damals schmeichelte noch immer ihrem Gesicht, getrübt nur von einigen wenigen feinen Linien um die Augenwinkel. Zane blickte sie gierig an. Ihre Brüste zeichneten sich hübsch unter dem blauen Sweater ab. Eine Strähne des glatten blonden Haares, an das er sich so gut erin nerte, hing ihr quer über die Stirn und gab ihr ein Flair von Verletzlichkeit. Sie sah müde aus und ... traurig?
»Ich weiß nicht«, sagte James und bewegte deprimiert den Kopf von einer Seite zur anderen wie ein Mann, den man geschlagen hat. Seine Stimme war leise, und das Fenster nur einen Spaltbreit offen, aber Zane war durch das Blut schon wieder genügend gestärkt, um ihn klar zu verstehen.
Ann blickte ihren Ehemann in wilder schmerzerfüllter Konzentration an. »Wir müssen Geduld haben. Die Ärztin sagte, es könnte ihr noch schlechter gehen, bevor es wieder bergauf geht.«
»Wie könnte es ihr denn noch schlechter gehen?« mur melte James. »Ich sehe das nicht, außer ...«
»Sag es nicht«, flehte Ann an, und er sagte es auch nicht.
Zane fragte sich, wer wohl krank sein mochte. Anns Mut ter? Oder vielleicht James? Egal. Ganz klar, die noch immer schöne Ann brauchte Entspannung, süße Träume. Welch Glück, daß ich liier bin, dachte Zane mit einem Lächeln.
James blickte auf und sah seine Frau an. Seine Augen waren rot gerändert, und Zane konstatierte voller Widerwil len, daß er geweint hatte. »Was also tun wir, Ann?«
»Wir beten, wie wir es immer getan haben.«
»Ich meine ja immer noch, ein anderer Arzt könnte ...«
»Fang nicht schon wieder damit an. Dr. O'Keefe hat den besten Ruf in der ganzen Region rund um Washington.«
Überrascht trat Zane näher an das Fenster. Hatte er richtig gehört? Dr. O'Keefe - Mary Katherine O'Keefe? Welch bizar res Zusammenspiel könnte ihn sowohl mit der Ann von vor
zwölf Jahren als auch mit Merricks heutiger Geliebter verbinden?
Ann bedeckte die Hand ihres Ehemanns mit der eigenen. »Als Jenny krank wurde, hat Dr. Prespowitz sofort Dr. O'Keefe empfohlen. Und die beiden Experten, die du seither hinzugezogen hast, sagten beide dasselbe. Sie ist weit und breit die beste in der Behandlung von Leukämie im Kindesal ter.«
Aufgerüttelt lehnte Zane sich in das Fenster und sah die beiden Leute in einem scharfen neuen Fokus, der auf seinen Retinae brannte. Leukämie im Kindesalter! Könnte es eine Blut saugerin sein? Nun redet schon weiter, dachte er. Laßt mich mehr hören!
»Alles, was ich weiß«, sagte James, »ist, daß sie seit Mona ten im Hospital ist, und außer, daß es ihr ständig schlechter geht, ist nichts passiert. Das dürfte eigentlich nicht sein. Heut zutage kann man Leukämie im Kindesalter heilen.«
Als Ann ihn direkt ansah, merkte Zane, daß er eine Hand fläche gegen die Fensterscheibe gepreßt hatte und sie fast zer brochen hätte. Sie blinzelte, dann blickte sie wieder ihren Ehe mann an. Er spürte, wie sein Herz gegen das Brustbein pochte. Wie alt genau war das Mädchen mit der Leukämie, die auf keinerlei Behandlung ansprach?
Zane ging zur rückwärtigen Tür, die verschlossen war. Mit einem leichten ungeduldigen Knurren studierte er die Rück seite des Hauses. Eine Eiche überschattete das Dach, aber über die Regenrinne würde es schneller gehen - und leiser, da er nicht hinunterzuspringen brauchte. Zum Glück war die Regenrinne aus Kupfer und nicht aus Aluminium und würde sich deshalb nicht so schnell unter seinem Gewicht verbiegen. Er faßte die Regenrinne und zog sich Hand über Hand auf das Dach hinauf. Dann verteilte er sein Gewicht zwischen Hän den und Füßen und arbeitete sich langsam den steilen First hinauf bis zum ersten Schlafzimmerfenster. Verschlossen, verdammt. Er holte den Glasschneider
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