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Sohn der Unendlichkeit

Sohn der Unendlichkeit

Titel: Sohn der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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die ersten Inseln herumflog und pausenlos dreidimensionale Bilder sendete, bereitete sich Dorian innerlich vor, seinen vierten und letzten Einsatz durchzuführen.
    Das Bild änderte sich.
    Die Rechenmaschinen, deren rasend schnelle Operationen den Spionwürfel steuerten, agierten plötzlich, als sie eine undeutliche Bewegung wahrnahmen. Der Würfel wurde schneller und verließ seinen bisherigen Kurs, der immer neue, andere Inseln in überraschenden Perspektiven auf den Bildschirm gezaubert hatte. Der Würfel verließ den Kreis und stieß in dessen rechnerischen Mittelpunkt vor. Dorian kniff die Augen zusammen und sah genauer hin.
    Von einem dreieckigen Horst in einer der bewaldeten Klippen löste sich ein großer, bronzener Vogel.
    Der Würfel glitt durch die klare Luft näher heran, gleichzeitig zoomte die Optik und riß den fraglichen Gegenstand näher heran. Das Bild klärte sich, und Dorian spürte einen zweiten, ungleich stärkeren Schreck.
    Seine Finger bebten. Die Hand streckte sich aus und suchte tastend in der Luft, bis sie das kühle Lederpolster des Sessels erreichte. Dort berührten die schweißnassen Finger das Material und versuchten, den Mann festzuhalten.
    »En … Mensch!« murmelte Dorian.
    Das Bild war klar. Die Optik verfolgte einen fliegenden Menschen, der sich von einer Plattform gestürzt hatte und in der Luft schwebte. Er tat dies mit der unvergleichlichen Eleganz einer Möwe, eines Albatros oder eines Raubfalken. Kopfschüttelnd und völlig aus dem Konzept gebracht, verfolgte Dorian den Flug oder besser das Schweben des jungen Mannes im Aufwind vor den schwarzweißblauen Klippen. Ein vollkommen identisch ausgebildeter Körper, offensichtlich etwas leichter gebaut, aber keineswegs zwergenhaft. Zwischen Kopf und Lenden wuchsen zwei lange Hügel hervor, eine Mischung zwischen den Schwingen eines Habichts und einer Skua, einer Raubmöwe der Antarktis. Körper und Flügel waren bronzefarben, aber es war in dem scharfen Bild deutlich zu sehen, daß diese Farbe der Einwirkung der gelben Sonne zu verdanken war.
    »Jetzt fehlt nur noch der Fries, und dann werde ich vollends wahnsinnig 1« sagte Dorian.
    In seinen Gedanken stritten verschiedene Gefühle und Empfindungen miteinander. Einerseits mußte er als nüchterner Beobachter und als Kurier einen mythischen Zusammenhang zwischen den Träumen und Traumbildern und der Wirklichkeit schroff verneinen. Andererseits dachte er an die prophetischen Worte La Libras und gestand sich ein, daß doch eine gewisse Verbindung bestand. Nur ein Unterschied: er hatte niemals von Ornithanthropen oder Avihomiden geträumt.
    »Gleichgültig, ob Sage oder Wahrheit – ich bin der Kurier der Erde und habe einen fest umrissenen Auftrag!« sagte er laut und rief sich damit in die Wirklichkeit zurück.
    Als Fußgänger würde er dort auf Halcyon III, dem dritten Planeten eines mit Terras Sonne fast identischen Sternes, nichts ausrichten können. Halcyon war eine Welt der Vögel und der fliegenden Menschen.
    Verwirrt brannte sich Dorian eine Zigarette an und überlegte.
    Kam er als Mensch eines anderen Planeten, so würde dies bei fliegenden Humanoiden keinen Schock auslösen und sein Vorgehen erschweren, denn sie konnten die Sterne sehen und sich den Raumflug vorstellen, denn das Fliegen ohne Apparate und Hilfsmittel war bereits eine Vorwegnahme des Fluges zwischen Planeten und Sternen. Kam er in seiner Landekugel, würden sie ihn auslachen, denn sie konnten es – wenigstens was den bodennahen Bereich betraf – vermutlich nicht weniger gut als dieses Meisterwerk terranischer Techniker.
    Er war der Abgesandte einer überragenden Technik, einer Kultur im Endstadium, wie gut oder hoch dies immer sein mochte, jedenfalls vertrat er ein Volk, das auf einer höheren zivilisatorischen Stufe stand als diese Avihomiden. Und diese Menschen waren, so schien es ihm ohne näheres Hinsehen, sehr geeignet dafür, Terras Erbe anzutreten.
    Was also konnte er tun?
    Er tippte den Bildkubus an und führte eine lange und wenig nutzbringende Unterhaltung mit seiner synthetischen Amaouri. Auch sie konnte ihm keinen Rat geben; er bemühte sich nur, aus der Vielfalt der Wort- und Satzkombinationen einen Denkanstoß zu filtern.
    Vergebens …
    Immer wieder betrachtete er die Bilder. Sie ähnelten sich stark, aber sie zeigten immer neue Eindrücke von den Klippen und den weißen Horsten, die zwischen grünen Blättern verborgen und zum Teil auch in den gewachsenen Fels hineingemeißelt

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