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Sokops Rache

Sokops Rache

Titel: Sokops Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lohmeyer
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Nachrichtensprecherin.  Der als Schweinegrippe bezeichnete Influenza-A-Virus H1N1 hat, nur wenige Wochen nach seinem Ausbruch in Mexiko, die ersten Todesopfer in den Vereinigten Staaten von Amerika gefordert.
    Er stellt das Gerät aus und rollt, an Kleingärten entlang, über betonierte Fahrspuren, die noch aus DDR-Zeiten zu stammen scheinen, zum Wismarer Yachtclub. Auf dem kleinen Parkplatz stellt er den Golf ab und macht sich noch einmal gründlich mit dessen Schaltern und Anzeigen vertraut. Das spartanische Innenleben des Wagens erleichtert ihm die Orientierung. Viel hat sich an den für diese Marke typischen Bedienelementen nicht geändert. Da haben sich ihm im Alltag schon gravierendere Neuerungen in den Weg gestellt. Er grinst bei dem Gedanken daran, wie er am Tag nach der Entlassung bei dem Versuch, einen Einkaufswagen zu benutzen, gescheitert ist. Ohne die Miene zu verziehen, hat er sich erst einmal am Bäckerstand des Supermarktes einen Kaffee bestellt und andere Kunden dabei beobachtet, wie sie es schafften, einen der Wagen aus der Schlange zu ziehen.
    Auch an die Zentralverriegelung des Golfs muss er sich noch gewöhnen. Er zielt mit dem Sender auf die Tür, lässt den Wagen stehen und passiert nach ein paar Schritten das Tor der Anlage, die ihrem mondänen Namen keine Ehre macht. Alles hier ist sehr einfach, sportlich, wahrscheinlich so, wie es auch schon vor Jahrzehnten aussah. Nur die Boote sind durchweg jüngeren Datums. Auf der Terrasse des Clubrestaurants setzt er sich in einen der weißen Kunststoffstühle und schiebt sich die neue Sonnenbrille von der Stirn auf die Nase. Es ist nicht viel los an diesem frühen Nachmittag. Nur ein weiterer Tisch ist besetzt. Zwei rotgesichtige Alte kippen dort zügig ihre Biere und ordern ebenso fix eine neue Runde. Ihre knappen Bemerkungen deuten auf eine lange Routine des Miteinanders hin. Auf dem weitläufigen Clubgelände sieht Henry vor einem offen stehenden Blechschuppen zwei weitere Männer auf weißen Plastikstühlen hocken. An Bord mehrerer an den Stegen vertäuter Boote bewegen sich bunt gekleidete Gestalten. Eine Meute kleiner Kinder kurvt auf Rädern zwischen anderen Booten herum, die noch auf Stelzen an ihren Winterplätzen stehen. Möwen krakeelen in der Luft. Die Bedienung – mit den zurzeit offenbar modernen weiß und lila gesträhnten schwarzen Haaren –
lächelt ihn freundlich an. Er bestellt Kaffee. Dann schließt er die Augen, überlässt sich ganz der Situation. Gemurmel vom Nebentisch, fernes Motorengeräusch, Kinderstimmen, Leinen, die an Masten klimpern, das Zerren des Windes, Sonnenwärme auf seinem Gesicht, der Geruch nach Frittiertem, der aus der Gaststätte nach draußen dringt. Urlaubsstimmung. So wie er, der selbst noch nie eine Urlaubsreise unternommen hat, sich Urlaub vorstellt. Er presst die Zähne zusammen, bis sie knirschen. Wo wäre er, wenn ihn der Mörder nicht in dieses Leben als Geächteter, als Abschaum gestürzt hätte?
    Später schlendert er zum Wasser hinunter, nickt dem Hafenmeister vor seiner Blechbude zu, gibt sich den Anschein des langjährigen Nutzers der Yachtclubanlagen. Und dann, sein Herz klopft heftig, ist es so weit: Er entdeckt die  Niobe . Am letzten Quersteg liegt die große weiße Yacht vertäut. Niemand ist an Bord. Henry hat sich nach dem Törn auf Wellers Boot Literatur über das Segeln aus der Stadtbibliothek geliehen, erkennt nun, dass es sich bei der  Niobe  um eine Slup handelt. Außerdem übt er an den Abenden anhand der Zeichnungen in den Büchern die wichtigsten Seglerknoten. Nachdem er einmal über alle Stege spaziert ist, inszeniert Henry einen Schwatz mit dem Hafenmeister.  Kuhn  steht auf dem gestickten Namensschild seines Overalls. Er nimmt sich selbst und seine Aufgabe erkennbar wichtig.
    »Du bist neu hier«, stellt er fest und tippt Henry mit seinem knotigen Zeigefinger auf die Brust. »Gesichter vergesse ich nämlich nicht.«
    Henry gibt sich leutselig, spricht davon, vielleicht ein Boot kaufen zu wollen. Schon begleitet ihn Kuhn, mit geblähtem Brustkorb, auf einen der vorderen Stege und deutet auf eine kleine dunkelblaue Yacht.
    »Steht zum Verkauf«, knurrt er, als nähme er dies dem Besitzer übel. »Der Eigner hat keine Zeit mehr zum Segeln.«
    Henry zeigt sich interessiert, stellt ein paar Fragen, von denen er hofft, dass sie ihn nicht als vollkommenen Laien entlarven. Dann blickt er sich um. »Ist sonst noch etwas zu verkaufen hier?« Er deutet auf den hellen Bootskörper

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