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Sokops Rache

Sokops Rache

Titel: Sokops Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lohmeyer
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wiedererkennt, muss er leben.
    Eine Stunde später haben sie Riesenportionen Spareribs mit Pommes frites und üppige Eisbecher verspeist, sich über Wismar, Henrys neue Wohnung, seine Jobsuche, Paetows Laden und dessen Leidenschaft, das Boxen, unterhalten und sind beim dritten Bier. Die stahlblauen Augen des Wikingers liegen auf Henrys Gesicht.
    »Hab ich mir gleich gedacht. So etwas spürt man. Wo hast du gesessen?«
    »Waldeck.«
    Paetow stößt pfeifend Luft durch die Zähne. Als Insider ist ihm klar, dass dort nur Langstrafer einsitzen.
    »Was Größeres also.«
    »Kann man so sagen.«
    Paetow hebt sein Glas. Sie stoßen an.
    »Und du?«
    »Kleinkram. Drei Mal Bützow. Ist schon ’ne Weile her.«
    »Noch Bewährung?« Henry hält die Luft an, wartet gespannt auf die Antwort. Er kann es sich nicht leisten, dass der andere ihn unter seinem richtigen Namen bei Weller trifft.
    »Nee, nichts mehr offen. Ich bin ein freier Mann.« Sein breites Grinsen formt seine Augen zu Schlitzen und Henry sieht die Zahnlücke im Oberkiefer, die dem anderen ein noch verwegeneres Aussehen verleiht als die großflächigen Tribaltattoos auf seinen gewaltigen Oberarmen.
    »Sag mal, wenn du dich mit Autos auskennst, hast du Lust, ab und zu für mich ein paar Touren zu machen?«
    Henrys Pulsschlag beschleunigt sich, als er – äußerlich unbewegt – einwilligt.
    »Wenn das Finanzamt nichts davon erfährt, habe ich nichts dagegen. Irgendein Risiko dabei?«
    Der Wikinger zeigt noch einmal seine Zahnlücke.
    »Wo ist keins dabei?«
    Sie trinken schweigend ihre Gläser aus.
    »Komm am Montag um zwölf in den Laden. Dann sehen wir weiter.«
    * * *
    Seit dem frühen Morgen sitzt Henry am Brunkowkai, einem Seitenbecken des Hafens, auf dem Anlegesteg. An einen der dicken hölzernen Poller gelehnt, raucht er und liest in einem Buch aus der Stadtbibliothek.  Krieg und Frieden.  Rechterhand die Anlagen des Seehafens, blaugelbe Kräne, Containerschiffe, Lagerhallen. Vor ihm vertäute Motoryachten und Segler der etwas teureren Art. Ringsum steigert sich allmählich die Geschäftigkeit. Immer mehr Skipper machen ihre Schiffe klar zum Auslaufen. Es ist Samstag; für viele der Start in ein Wochenende auf dem Wasser. Möwen segeln über die in der Sonne leuchtenden Wellenkämme, Leinen klackern an Masten, irgendwo plärrt ein Radio Schlagermusik und in der Luft liegt eine gespannt-entspannte Erwartung.
    Henry wendet den Blick zur  Niobe , die, seit sie ihr Winterquartier im Yachthafen verlassen hat, hier – einen Steinwurf von ihm entfernt – am vorletzten Steg liegt. Auf dem Achterdeck, der Plicht, wie Weller es nennt, sitzt Oldenburg, zusammen mit einer blonden, deutlich jüngeren Frau. Wahrscheinlich ist das Oldenburgs Tochter, die in seinem Unternehmen als Architektin arbeitet, wie Strom erzählt hat. Henry sieht die Köpfe und die Oberkörper der beiden, die gelegentlich Edelstahlbecher an die Lippen heben und in eine müßige, von längeren Pausen unterbrochene Unterhaltung vertieft sind. Oldenburg ist grau meliert, trägt einen Schnauzbart unter der großen Nase, hat einen wuchtigen Brustkorb und macht einen rechthaberischen Eindruck. Henry schätzt ihn auf Mitte sechzig. Der  Niobe -Eigner wirkt seriös, aber nicht übermäßig gebildet. Von Zeit zu Zeit wehen Gesprächsfetzen mit seiner sonoren Stimme herüber.
    Henry hat Zeit. Er schließt die Augen, spürt die Sonnenwärme auf den Lidern, hört in einiger Entfernung den Autoverkehr rauschen, dann einen Bootsmotor, der am anderen Ende des Hafenbeckens gestartet wird und Schritte auf dem Kies vor dem Hafenamtsbüro. Als er die Augen wieder öffnet, ist auf der  Niobe  eine diffuse Unruhe ausgebrochen. Schon ist er aufgesprungen, geht mit langen, federnden Schritten über den schmalen Alusteg hinunter auf den Anleger und das Boot zu, dessen Heck deutlich vom Steg wegdriftet. Die hintere Leine hängt funktionslos ins Wasser.
    »Kann ich helfen?«
    Beide Oldenburgs stehen an der zum Steg gewandten Reling, tauschen einen kurzen Blick, lachen Henry vor Erleichterung an. Der Alte antwortet.
    »Sie schickt der Himmel«, ruft er, während sich der hintere Bootskörper weiter vom Steg entfernt. Die  Niobe  steht jetzt im rechten Winkel zum Anleger, nur von der Bugleine gehalten.
    Sein Knotencrashkurs war also erfolgreich. Henry unterdrückt ein Grinsen, schnappt sich den für Notfälle am Steg befestigten Bootshaken und zieht das driftende Boot zu sich heran. Oldenburg, sichtlich froh, auch

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