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Sokops Rache

Sokops Rache

Titel: Sokops Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lohmeyer
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Mein drittes Leben, du weißt. Das kostet mich all meine Kraft.« Er salbadert noch den gesamten zweiten Kaffee lang. Das ist schon damals als Autoverkäufer sein Kapital gewesen – das Wehrlosparlieren seines Gegenübers.  Du quatscht mich ganz besoffen , hatte ihm schon seine Großmutter vorgeworfen, wenn er sie als Jugendlicher davon hat überzeugen wollen, wie ätzend es war, um zehn Uhr abends zu Hause sein zu müssen. Doch kann er sich, ganz im Gegensatz zu Leuten wie Strom, dosieren. Im Grunde ist er nicht gesprächig, nicht im geselligen Sinn. In Waldeck hat er sogar als schweigsam gegolten.
    Sonja ist, bis auf das feuchte Glitzern in ihren Augen, wie versteinert. Fast tut sie ihm leid. Doch er darf sich nicht der Gefahr aussetzen, mit ihr auf den Fersen die Identität, die er Paetow und den Oldenburgs gegenüber aufgebaut hat, aufs Spiel zu setzen.
    Sie trennen sich auf dem Parkplatz vor der Bar.
    »Gib mir Zeit, Sonja.« Er fixiert sie eindringlich. Sie wirkt verstört, durcheinander, ihr Blick flackert. Henry legt einen Arm um ihre Schultern und weiß im selben Augenblick, dass dies ein Fehler ist. Sonja strahlt ihn an, scheint wie ausgewechselt.
    »Mach dir keine Sorgen, Henry.« Sie pustet sich mit vorgeschobener Unterlippe die Ponyfransen aus der Stirn. »Ich habe verstanden.«
    Irgendetwas lässt Henry dies zutiefst bezweifeln.
    * * *
    Am Montag regnet es. Die Schauer ziehen die Wolken tief über die Stadt; ein alles durchdringender Wind fährt durch die Straßen, erinnert eindringlich daran, dass es noch nicht Sommer ist. Henry zerrt den Reißverschluss seiner Windjacke bis ganz nach oben und trabt bei Rot über den Fußgängerüberweg am Wassertor. Nicht einmal Nosferatu wäre bei solch einem Wetter unterwegs. Schon den ganzen Morgen über hat er versucht, sich in eine Stimmung zu versetzen, die der aus seiner Haftzeit entspricht.  Das Überleben im Heute verdrängt das Gestern. Hart werden, jederzeit Härte ausstrahlen, immer – auch wenn das Innere vor Jämmerlichkeit zerfließt.  Doch mit der stählernen Haut, die er um sich aufbaut, erreicht ihn auch wieder der Nachhall des Verzweifelns am Nichtbeantwortenkönnen der entscheidenden Fragen, die Wut hierüber, die elende Savanne der Ohnmacht. Und genauso, wie damals die Erinnerung an alles Gewesene immer wieder traumfarben in seinen Haftalltag stürzte, funkt ihm heute ständig die Erinnerung an Nicole Oldenburg dazwischen. Er verlangsamt seinen Schritt, bleibt am Rand des Hafenbeckens stehen, starrt hinunter ins trübe Wasser. Die Tochter des Mörders. Indem er Oldenburg so bezeichnet – ohne sich sicher zu sein – meint er sich vor den Konsequenzen seiner Gefühle für dessen Tochter zu schützen. In der vergangenen Nacht hat er von ihr geträumt; er will sie wieder sehen, will sie in seinen Armen spüren und sie schmecken. Er weiß, dass diese Leidenschaft, die ihn selbst überrascht, seinen Plan stört, seinen Ruin bedeuten kann und ist dennoch dagegen machtlos. Beinahe hofft er, ihr Vater wäre unschuldig und der Wikinger wäre der Mörder. Obgleich Paetow ihm auf Anhieb deutlich sympathischer gewesen ist als der selbstgerechte Bauunternehmer. Doch Sympathie ist in diesem Fall nebensächlich. Nein, gefährlich.
    Und selbst, wenn es so wäre, sollte ihr Vater wirklich nicht der Mörder sein, wie kann er Nicole weiter anlügen? Über sich, über seine Vergangenheit? Welche Zukunft sollen sie zusammen haben? Er fühlt sich zerrissen zwischen dem, was er während seiner Inhaftierung als seinen Lebensinhalt begriffen hat und den emotionalen Turbulenzen, die diese Frau in ihm auslöst. Vielleicht ist es auch nur die erzwungene fünfzehnjährige Keuschheit, die ihn so stark auf sie reagieren lässt, versucht er sich einzureden. Sofort belastet ihn etwas anderes: die Skrupel, was Paetow heute von ihm verlangen wird. Henry hat außer der Hinrichtung des Mörders keine verbrecherischen Ambitionen mehr, schämt sich für seine  Ganovenkarriere , die er sich nicht verzeihen kann, nicht einmal als eine Art Jugendsünde. Auf Höhe der Fischkutter verdrängt er all diese Gedanken, überlässt sich dem Hier und Jetzt, beschleunigt seine Schritte.
    Er kann nichts weiter tun.
    »Leicht verdientes Geld«, knurrt der Wikinger. Sie sitzen auf Barhockern am Ladentresen, in den Bechern vor ihnen dampft Kaffee:  türkisch , wie es hier genannt wird, das kochende Wasser direkt auf das Pulver gegossen. Die Stereoanlage schweigt.
    »Du hast gesagt, du

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