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Sokops Rache

Sokops Rache

Titel: Sokops Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lohmeyer
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zur Küche, wo sie etwas trinken wollen, vor dem Wandspiegel Halt gemacht.
    »Ein schönes Paar.« Sie fasst nach hinten, zieht ihn dichter an sich heran, schmiegt ihren Rücken an ihn. »Ich verstehe nicht, warum du Wismar diesen Anblick vorenthalten willst.«
    »Vielleicht habe ich Angst?«
    Sie schnaubt, zieht ihn hinter sich her in die Küche, beugt sich zum Kühlschrank und holt die Flasche Champagner, die sie mitgebracht hat, heraus.
    »Wenn ich einen angstlosen Charakter kenne, dann bist du das, mein Lieber.« Sie hält ihm die Flasche zum Öffnen hin und wird ernst. »In dir ist etwas, das du versteckt hältst. Vielleicht etwas Gefährliches. Und vielleicht ist es genau das, was mich an dir so anzieht. Aber egal, wie lange wir uns kennen, egal, wie nah wir uns kommen – dieses Etwas wird immer verborgen bleiben. Stimmt‘s?«
    »In den meisten Menschen ist etwas Gefährliches versteckt. Die meisten wissen nicht einmal selbst davon.«
    Sie legt den Kopf schief, überlegt.
    »Ich schlage dir ein Abkommen vor.«
    Ihr Mund lächelt, doch ihre Augen strahlen eine ungewohnte Härte aus.  So wird sie aussehen, wenn sie mit Geschäftspartnern verhandelt , überlegt Henry.
    »Du begleitest mich zu dieser Vernissage heute Abend und ich frage dich nicht weiter danach, wo du in den letzten Jahren gewesen bist, was du getan hast. Einverstanden?«
    Ihm ist klar, dass sie es ernst meint und eine ernsthafte Antwort erwartet. Ebenso wenig, wie er die Stadt Wismar von ihrem inneren Wesen her begreift, gelingt es ihm zu begreifen, weshalb Nicole ihn so bedingungslos in ihr Herz geschlossen hat. Es ist eine zwiespältige Erkenntnis: Sie ist sein Seil über dem Abgrund.
    Zwei Stunden später stehen sie, zusammen mit einem Dutzend anderer Besucher, in dem großen lichtdurchfluteten Galerieraum, halten Weingläser in den Händen und sind sich ihrer beider Körper, so nah beieinander, nur durch dünne Stoffschichten voneinander getrennt, überdeutlich bewusst. Um sie herum wabern Gesprächsfetzen in der lauen Luft, Nicole nickt einer großen Dunkelhaarigen – der Galeristin, wie sie ihm zuflüstert – zu und Henry versucht, den in naiver Manier und mit gedeckten, düsteren Farben auf runde Holzscheiben und rechteckige Leinwände gemalten Bildern Bedeutung zu entlocken. Außerdem schweben unvermittelt ein hölzerner Stuhl und ein Hocker an Schnüren von der Decke. Henry sieht keinen Zusammenhang zu den Bildern. Die Künstlerin – eine unauffällige Mittvierzigerin mit Pferdeschwanz und aufmerksamen Augen – wird gerade vom Lokalfernsehen interviewt, gestikuliert vor der Kamera in Richtung eines Objekts, das auf Henry wie ein Wandbehang aus einem Psychotikerhaushalt wirkt, mit zwei darüber befestigten große Holzlettern: D und A. Er späht hinaus auf die kleine, mediterran anmutende Terrasse im Hinterhof, wo unter einem Sonnensegel und vor einer Brandmauer aus historischen Ziegeln ein Sammelsurium verschiedener Stühle, umgeben von Töpfen mit Palmen, Lavendel und Thymian, malerisch um einen Tisch gruppiert ist. Seine größte Sorge ist, dass dieser wahnsinnige Lästling heute hier auftaucht, um einen Artikel über die Ausstellung zu schreiben. Er kann sich inzwischen vorstellen, sie bei jeder erneuten Belästigung totzuschlagen. Nicole ist in ein Gespräch mit der Galeristin und einem ältlichen, silberbebrillten Mann vom Typ  Verhinderter Künstler  verwickelt. So geht er nach draußen auf die Terrasse, hockt sich auf einen Stuhl neben zwei jüngere Männer, die rauchend und an ihren Bierflaschen nuckelnd eine Bootsreise an der Ostseeküste entlang bis nach St. Petersburg planen. In Wismar scheint fast jeder ein Freizeitskipper zu sein. Hier draußen in der milden Abendluft überkommt ihn eine angenehme Ruhe; er dreht sich eine Zigarette, legt den Kopf in den Nacken, schließt die Augen, schmeckt dem fruchtigen Rotwein nach und stellt sich vor, irgendwo in Italien in einem kleinen Ort am Meer zu sein.
    »Und du bist der Freund von Nicole?« Er schreckt auf, als neben ihm die Galeristin mit einem Feuerzeug eine Gartenfackel entzündet. Es beginnt zu dämmern.
    »Möchtest du noch einen Wein?« Sie deutet auf sein leeres Glas. Er streckt es ihr entgegen.
    »Ja, sehr gern. Und ja, ich bin Henry.« Er wird es nicht vermeiden können, mit Nicole in Verbindung gebracht zu werden, in dieser kleinen, überschaubaren Stadt in kürzester Zeit als ihr Neuer bekannt zu sein. Bald, wenn er seinen Plan ausgeführt haben wird, wird dies

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