Sokops Rache
ist die Tochter dieses Mannes. Ich hoffe, durch sie an ihn heranzukommen. Willst du mir dabei helfen?«
Sie nickt wie aufgezogen. »Ja, natürlich helfe ich dir. Wenn ich kann.« Er nimmt den chemischen Geruch wahr, der aus ihren Haaren aufsteigt. Heute leuchtet das Orangerot besonders grell.
»Dann störe meinen Plan nicht. Ich muss mich weiter mit der Tochter treffen. Das hat nichts mit uns zu tun.« Er betrachtet ihr blasses Gesicht, ihren gedrungenen kleinen Körper und ihre winzigen weißen Hände, die den zusammengedrehten Schirm kneten. Mit einem Mal tut sie ihm leid, rührt ihn ihre ganze verliebte Jämmerlichkeit. Er legt seinen Arm um ihre Schulter, drückt sie kurz an sich. Ihre Jacken geben ein leises Rascheln von sich. Sie schaut mit einem schwärmerischen Blick zu ihm auf, der besser zu einer Vierzehnjährigen passen würde. Er erwidert ihren Blick, lächelt milde und gibt ihr einen zarten Nasenstüber. »Meine Super-Journalistin. Hast du schon herausgefunden, wer die Blonde ist? Um wen es geht?«
Sie schüttelt den Kopf, scheint zu überlegen, ob sie ihm glauben soll. Er tut so, als denke er nach, lässt sie dabei los. Verloren steht sie mit hängenden Armen vor ihm. Der Rhythmus der Tropfen vom Dach wird schneller. Treffen sie auf den Holzbalken des Geländers, erzeugen sie winzige, perfekt symmetrische Fontänen, wie in einem Miniaturspringbrunnen.
»Er heißt Oldenburg und ist einer der größten Bauunternehmer hier in der Gegend. Nach der Wende ist er durch staatliche Aufträge groß geworden. Drei Filialen, hundertzwanzig Mitarbeiter, Stadtvilla, Segelyacht. Das volle Programm. Die Tochter arbeitet als Architektin im Familienbetrieb. Ich bin so gut wie sicher, dass da Korruption im Spiel ist, sonst hätte er die Krise in der Baubranche nicht so glänzend überstanden.« Er tritt die Zigarette auf dem Sandboden aus.
»Du willst also, dass ich in Richtung bestechliche Beamte und illegale Auftragsvergabepraxis recherchiere?« In ihren sonst stumpf-braunen Augen blinkt so etwas wie Stolz auf ihre schnelle Auffassungsgabe und zugleich schimmert Zorn auf. »Und gleichzeitig ertrage, dass du mit dieser Tusse ins Bett steigst?« Ihr Atem pfeift wie nach einem Hundertmetersprint. Sie wringt den nassen Schirm in ihren Händen, starrt ihm unverwandt ins Gesicht. Jetzt funkelt sie ihm angriffslustig an, wirkt zugleich erschrocken über sich selbst.
Er schweigt, sieht hinaus auf das Meer, das die Farbe von toten Fischaugen hat.
»Dafür musst du mir schon etwas bieten. Wie wäre es mit der Fortsetzung unserer Interviews? Es fehlt noch der Part nach der Entlassung.« Sie krampft die Hände mitsamt dem Schirm um die nasse Holzbrüstung, atmet flach und blickt ebenfalls hinaus auf die Ostsee. Er unterdrückt seinen Abscheu und lässt sie zappeln – kein Wort, kein Räuspern, kein wütendes Schnauben kommt von ihm. Direkt vor ihnen kreischt eine Möwe, stürzt wie ein Stein hinab, ihr schriller Schrei hallt in den Ohren nach. Aus dem Augenwinkel beobachtet er die Frau neben sich. In ihren Augen schimmern Tränen. Er ahnt, was in ihr vorgeht. Sie hat es vermasselt, ist zu weit gegangen, muss fürchten, ihn in diesem Augenblick für immer verloren zu haben.
Als er zu sprechen beginnt, zuckt sie zusammen. Er lässt seine Stimme verhalten klingen, zögernd. »Du willst aus meinem Leben unbedingt ein Drama mit Happy End machen, Sonja. Doch ist es vielmehr eine Tragikomödie, vielleicht auch ein groteskes Schauspiel. Ich tauge nicht als Held einer gefühlsseligen Sozialreportage, bin weder rührend noch unschuldig. Ich bin – wie alle Menschen – Täter und Opfer zugleich, so verlogen wie aufrichtig, so eigennützig wie großzügig, so entschlossen wie verzagt.« Er hält inne, zieht den Tabak aus der Tasche und überlegt, dass sie bestimmt zutiefst bedauert, nicht ihr Diktiergerät heimlich in der Jackentasche mitlaufen zu haben. Er hat ihre Umarmung dazu genutzt, dies zu überprüfen: Ihre Taschen sind leer. Während er den ersten Zug inhaliert, dann ausatmet, spricht er weiter, ohne sie anzusehen. »Dieses Leben, dieses dritte nach dem ersten törichten, kaum erwachsenen und dem zweiten, dem abgetöteten, dem nackten Überleben, dieses dritte nun, das weiß ich nicht anders zu füllen als mit Hass.« Er schaut sie kurz an, schätzt ab, ob sie spürt, wie verletzlich er sich macht, wie viel ihn diese Offenbarung kostet. »Mit Hass und dem Wunsch nach Vergeltung.« Er tut so, als habe er den Faden verloren,
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