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Sokops Rache

Sokops Rache

Titel: Sokops Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lohmeyer
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damals am Tatort das Bewusstsein wieder erlangt hattest, nicht die Polizei verständigt hast. Das Alibi, das dir der Friseur, bei dem du warst, gegeben hat, hätte dann vielleicht etwas getaugt, der Todeszeitpunkt deines Vaters hätte klarer eingegrenzt werden können, möglicherweise hätte man den Täter im Umkreis des Tatortes sogar gestellt.« Weller realisiert, anscheinend im selben Moment wie sein Gegenüber, dass er zum ersten Mal zumindest hypothetisch davon ausgeht, dass nicht Henry seinen Vater getötet hat. Er erntet dafür ein zaghaftes Lächeln.
    »Glaub mir, das habe ich mich wer-weiß-wie-oft selbst gefragt. Aber als ich mit der Waffe in der Hand aufgewacht bin, da waren meine Gedanken ein Wirbelsturm aus Angst, Wut, Trauer und Verwirrung. Keine Chance für eine auch nur ansatzweise rationale Einschätzung meiner Lage, geschweige denn planvolles Handeln. Für mich ist in diesem Moment das Universum zusammengestürzt.« Henry fährt sich mit der Hand durchs Haar. »Alles, was ich mir so lange gewünscht hatte, was ich geglaubt hatte, erreicht zu haben – war mit einem Mal unwiederbringlich fort. Ich hatte meinen Vater ein zweites Mal verloren. Dieses Mal endgültig.«
    »Was hast du gemacht?«
    »Ich weiß fast nichts mehr von diesen Stunden, aus der Zeit zwischen dem Verlassen unseres Firmengeländes und dem nächsten Morgen. Ich habe wohl noch genügend Verstand besessen, mir in meinem Zustand nicht eins der Autos zu schnappen, sondern bin zu Fuß losgelaufen. Innerhalb kürzester Zeit habe ich mich dann in irgendwelchen Eckkneipen völlig betrunken. Es war ja Silvester, überall wurde gefeiert.« Er zuckt mit den Schultern. »Ich glaube, ich wollte nur eins: nicht nachdenken. Ja, und dann hat mich am Neujahrsmorgen die Besatzung eines Streifenwagens entdeckt – im Vorgarten meines Vaters, an eine Kiefer geklammert. Man hatte die Leiche gefunden, war auf der Suche nach Angehörigen. Es wäre besser gewesen, ich wäre da im Garten erfroren. Das hätte dem Familiendrama, das die Presse damals aus dem Mord gemacht hat, eine zusätzliche melodramatische Note gegeben. Du hast wahrscheinlich die Schlagzeilen gelesen.  Vatermord im Autohändlermilieu. Sohn des Gebrauchtwagenpaten in Haft.  Undsoweiterundsoweiter.«
    »Du hast vor Gericht größtenteils geschwiegen. Wieso?«
    »Ich hatte doch nie eine Chance. Sämtliche Indizien sprachen gegen mich. Die beiden Werkstatthelfer, die mich nicht leiden konnten, mich immer als den Kronprinzen beneidet haben, sagten aus, dass mein Vater und ich uns in der Woche vor seinem Tod mehrfach gestritten hatten. Was stimmte, denn ich hatte ihn um eine höhere Provision gebeten, was er rundheraus abgelehnt hat. Er war eben geizig, der Alte. Mein Leben in Wismar war, nachdem die erste Wendeeuphorie vorüber war, nicht mehr nur Gold. Alles wurde teurer, die Leute warfen ihre Ersparnisse nicht mehr so schnell für Autos aus dem Fenster. Und die Frauen waren nur mit einem schicken Schlitten und Cowboystiefeln nicht mehr zu beeindrucken. Außerdem ging ich bei einigen meiner Aktionen ein hohes Risiko ein.« Er verstummt, seine Miene – eben noch ungewohnt lebendig – verdüstert sich. Weller winkt ab; ihn interessieren vermutlich längst verjährte Straftaten nicht. Henry fährt fort.
    »Der Staatsanwalt hatte schnell alles beisammen: Zeugen, die seine Habgiertheorie bestätigten, mein fehlendes Alibi, die Schmauchspuren an meiner Hand. Dazu das Gutachten dieses Psychiaters, der nach einem zweistündigen Blitzinterview mit mir zu dem Schluss kam, dass ich gar nicht anders konnte, als meinen Vater abgrundtief zu hassen. Selbst meinem Verteidiger fiel nichts Besseres ein, als mir zu einem Geständnis zu raten, um eine Verurteilung wegen Totschlags im Affekt zu erwirken. Doch das konnte ich nicht – zugeben, dass ich schuld am Tod meines Vaters war. Ich habe ihn nicht getötet.« Henry nimmt die dunkle Brille ab und reibt sich über die Augen.
    Weller hat das Gefühl, sich auf dünnem Eis zu bewegen. Setzt er nicht gerade den letzten Rest Professionalität im Umgang mit einem verurteilten Mörder aufs Spiel?
    »Man hat dir Habgier als Motiv unterstellt. Immerhin war dein Vater recht vermögend, du nur sein kleiner Angestellter – und der Alleinerbe.«
    Sein Klient stößt mit einem verächtlichen Schnauben Luft durch die Lippen.
    »Aus welchem Grund musste dein Vater, deiner Meinung nach, sterben?«
    Henry nimmt den Tampen wieder auf und legt mit ruhigen Bewegungen einen

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