Sokops Rache
Lippen führt, einen winzigen, grauschwarzen Salamander, ist angeekelt, aber auch fasziniert. Dann ist das Reptil verschwunden, sie sucht, will es unbedingt finden, doch ihr Gesichtsfeld ist eigenartig eingeengt, Nebelschwaden behindern ihre Sicht. Das Tier bleibt verschwunden. Sie fühlt sich innerlich zerrissen, spürt Bedauern, nichts scheint wichtiger, als den Salamander wieder zu finden. Der Verlust gräbt sich schmerzhaft in sie hinein.
An dieser Stelle wacht sie jedes Mal auf; es dauert bis der dumpfe Druck im Brustkorb nachlässt. Jetzt, zwei Stunden später, erlebt sie einen Nachhall des Traums, als sie sich auf ihrem Stuhl zurücklehnt und vom schmalen Balkon des Schweriner Cafés Friedrich aus die Augen müßig über das Südufer des Pfaffenteichs wandern lässt. Die Müdigkeit liegt auf ihren Gliedern und sie senkt für einen Moment die Lider.
Sie ist eine Stunde zu früh hierhergekommen, um ihre Gedanken zu sammeln, sich einen, wenn auch nur eingebildeten, Vorteil zu verschaffen. Auf der Kreuzung unter ihr strömt in gleißendem Sonnenschein der Vormittagsverkehr: Busse, Lieferantenfahrzeuge, Fahrradfahrer, Fußgänger – alle unterwegs zu einem bestimmten Ziel. Wie sie selbst. Sonja schiebt das Gefühl des Verlustes, dieses lästige Traumrelikt, beiseite und überprüft ihr Diktafon. Ihr soll nichts von dem kommenden Gespräch entgehen.
Volker winkt ihr schon von der Straße aus zu, wie immer zu plump, zu grobschlächtig mit seinen fast zwei Metern und dem Schwabbelbauch. Er hat überrascht reagiert, als sie ihn anrief, aber sofort zugesagt, sich mit ihr zu treffen. »Für meine Prinzessin lasse ich doch jederzeit alles stehen und liegen«, hat er ins Telefon geflötet und Sonja hat die Zähne zusammen gebissen, um nicht sofort wieder aufzulegen. Nun steht er neben ihrem Tisch und sie setzt ein zuckersüßes Lächeln auf.
»Volker, mein Lieblingskollege.« Sie reicht ihm die Hand, zuckt unter seinem festen Händedruck zusammen.
»Sonja, Glanz meiner fahlen Tage. Lass mich dir sagen, dass du von Tag zu Tag schöner wirst.« Er plumpst auf den zweiten Stuhl, dass es knirscht, stellt seine Fototasche zu ihren Füßen ab und winkt der Kellnerin, die unter ihnen auf der Terrasse bedient. »Wollen wir etwas essen? Ich könnte etwas vertragen.« Er greift nach der Speisekarte, schaut auf seine Armbanduhr, wirft ihr einen Blick zu, alles in einer einzigen, fließenden Bewegung. Sonja, die sich nach ihrer Hamburger Zeit längst wieder an das gemächliche mecklenburgische Tempo gewöhnt hat – sie nennt es spöttelnd meditativ – ist immer wieder erstaunt über diese an Hektik grenzende Effizienz in den Bewegungen ihres Kollegen.
»Ich nicht. Aber iss du ruhig etwas.« Sie ist froh, wenn er seine Aufmerksamkeit ein wenig von ihr abzieht und auf seinen Teller lenkt. Seine Augen auf ihrem Körper sind ihr unangenehm. Er mustert sie und meint: »Mädel, du musst mehr essen. Du wirst immer dünner. Das steht dir nicht.«
»Spiel dich nicht als mein Papa auf. Ich esse, wann es mir passt.«
Er zuckt mit den Schultern, studiert die Karte und murmelt etwas von väterlichen Gefühlen, die ihn mitnichten antreiben. Sie haben bestellt, sie einen weiteren Kaffee, er ein Schnitzel mit Beilagen für sich, einen Eisbecher für Sonja – Musst ihn nicht essen, nur probieren – da sieht er sie durchdringend an. »So, und nun spuck’s aus. Was verschafft mir das Vergnügen, mit dir hier in der Sonne zu sitzen? Sehnsucht wird es ja wohl kaum gewesen sein.«
Sonja mobilisiert ihre Charmereserven. »Nun stell dein Licht mal nicht unter den Scheffel. Immerhin bist du der einzige versierte Journalist in der ganzen Redaktion. Wie sagt der Chef? Unsere Edelfeder. Von Zeit zu Zeit, wenn wieder einmal Selbstzweifel an mir nagen, weil ich noch immer so erschreckend wenig über unser Metier weiß, dann sage ich mir: Gib dem Volker eine Chance.«
Er sieht sie verdutzt an, weiß augenscheinlich nicht, ob er ernst nehmen soll, was sie sagt.
»Nein, wirklich. Ich würde gerne von dir lernen.« Ihre Getränke und der Eisbecher werden serviert und Sonja nimmt anstandshalber einen Löffel voll mit Sahne und Erdbeereis, die Sorte, die sie am wenigsten ausstehen kann. Schnell probiert sie von den drumherum drapierten frischen Erdbeeren. Ihr Kollege lächelt zufrieden in sich hinein.
»Ich habe mich zum Beispiel gefragt, weshalb wir eigentlich so gut wie nie etwas politisch Brisantes aus unserer Region bringen – außer
Weitere Kostenlose Bücher